"Die Fußball-WM für Russland reicht nicht"
München - Schirmherr Wladimir Kaminer (47, "Russendisko") hat am vergangenen Dienstag die Sieger des History-Awards geehrt, den der TV-Sender History bereits zum zehnten Mal veranstaltet hat. Die Schüler wurden aufgefordert, sich mit dem Begriff "Heimat" auseinanderzusetzen. Was den Starautor an dem Geschichtswettbewerb fasziniert hat, wie man mit Pubertierenden am besten umgeht und wie er Wladimir Putin sieht, verrät der in Moskau geborene Kaminer im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Was ziehen Sie für ein Fazit nach dem History-Award?
Kaminer: Das war unglaublich spannend. Ich habe das Gefühl, dass Kinder den Erwachsenen manchmal überlegen sind. Wenn ich die Nachrichten in Deutschland verfolge, denke ich immer, dass wir von Provinzlern regiert werden. Die Politiker haben dieses Selbstverständnis nicht, ein Bürger der EU zu sein. Sie streiten miteinander, wer wem was schuldet, für wen mehr Profit drinsteckt,... Die Kinder aber haben dieses Gefühl der gemeinsamen Verantwortung. Es gab beim History-Award viele Beiträge zum Thema Flüchtlinge. Da ging es nicht darum, welches Land wie viele aufnehmen sollte. Sondern sie bemühten sich um eine gemeinsame menschliche Lösung des Problems.
Wie stehen die Jugendlichen heute zur Politik?
Kaminer: Sie nehmen Politik anders wahr. Es geht nicht mehr um repräsentative Politik, bei der Vertreter von bestimmten Interessensgruppen und Parteien ihre Programme ausbreiten und verteidigen. In den Filmen der Schüler sieht man eine ganz andere Politik. Da gehen Kinder in ein Ausländerheim, um andere Kinder zu besuchen und ihnen Fragen zu stellen.
Sie haben auch aus Ihrem Buch "Coole Eltern leben länger" vorgelesen.
Kaminer: Das war eher ein Zufall. In dem Buch geht es um das Thema Pubertät und das Publikum war dort ja ziemlich pubertär. Eigentlich passt das nicht zusammen... Aber sie haben gut reagiert, mit viel Verständnis.
Einer Ihrer Ratschläge zu diesem Thema ist "Wer weniger weiß, kann länger schlafen".
Kaminer: Das ist die russische Interpretation einer biblischen Weisheit.
Haben Sie selbst schon mal einen Erziehungsratgeber gelesen?
Kaminer: Ja. Aber mehr aus wissenschaftlichem Interesse. Ich hatte nie vor, einem solchen Ratgeber zu folgen. Ich wollte nur wissen, nach welchen Methoden meine Nachbarn ihre Kleinkinder erziehen.
Haben Sie Tipps für Eltern pubertierender Kinder?
Kaminer: Das ist wie bei allen anderen Problemen. Die Erfahrung sagt: Gewalt ist keine Lösung. Man kann nicht jede Situation nach eigenem Belieben lenken und biegen. Man braucht grenzenlose Geduld und viel Hoffnung. Man kann es auch mit Pflanzen vergleichen: Man gießt die Kinder, düngt sie und hofft, dass irgendwann irgendwas Tolles herauskommt.
Sie haben mit Ihren Kindern Facebook-Partys erlebt, kennen sich gezwungenermaßen mit Telefon-Flatrates aus. Was war das einschneidenste Erlebnis für Sie als Vater?
Kaminer: Ich finde es grundsätzlich unglaublich, dass man in der Pubertät heutzutage schon die halbe Welt kennenlernt. Ich habe früher immer davon geträumt, ein anderes Land zu besuchen. Und die Kinder heute waren schon überall. Die fahren alle paar Monate irgendwo hin.
Gibt es etwas aus der Pubertät Ihrer Kinder, was Sie besonders erschreckend fanden?
Kaminer: Bierball. Da müssen zwei Mannschaften auf Zeit Bier trinken. Welche Mannschaft den Kasten als erste leer bekommt, hat gewonnen. Da gibt es sogar extra einen Schiedsrichter, der schaut, ob in den Flaschen noch Flüssigkeit ist. Sehr kompliziert...
Gab es in Ihrer Jugend auch Trinkspiele?
Kaminer: Natürlich gab es die bei uns auch. Aber im Verborgenen und nicht öffentlich mit großem Publikum.
Wie würden Sie Ihre Jugend in der Sowjetunion beschreiben?
Kaminer: Ich glaube, wir hatten es leichter. Die Kinder heutzutage haben beispielsweise eine unendliche Auswahl an Möglichkeiten. Sie können zwischen so vielen Berufen und Lebensentwürfen wählen. In der Sowjetunion hatten wir das alles nicht. Es gab eine Broschüre zum Thema, wo gehe ich nach der Schule hin, die war vielleicht zehn, zwölf Seiten lang. Es war nicht wirklich spannend, was da angeboten wurde...
Bei "Markus Lanz" haben Sie Putin mit einem pubertierenden Kind verglichen. Wie äußert sich das beim russischen Präsidenten?
Kaminer: Nicht nur beim Präsidenten, im ganzen Land kann man das beobachten, diese Rebellion gegen die Weltordnung. Die Russen haben sich im vorigen Jahrhundert geopfert, haben das Experiment 70 Jahre Sozialismus auf sich genommen und der Welt gezeigt, dass man Soziales und Totalitäres nicht verbinden kann. Dann haben sie aufgegeben - unter großem Applaus. Anschließend kam die Frage: Was machen wir jetzt im 21. Jahrhundert? Was sollen wir produzieren? Mit der Automobilindustrie anzufangen, war ein bisschen spät. Daran haben die Deutschen schon zu lange gearbeitet. Es ist alles besetzt - wie bei "Die Reise nach Jerusalem": Alle Stühle sind besetzt und irgendjemand landet auf dem Boden. Also sagen die Russen: Gut, dann zeigen wir es euch, dann gehen wir und bauen uns eine andere Welt und laden euch nicht ein.
Wird Putin zu sehr dämonisiert?
Kaminer: Sicher ist er ein unangenehmer Mensch, aber ich glaube, es hat noch nie einen angenehmen Menschen in Russland an der Macht gegeben. Das hat eine sehr lange Tradition. Ihn zu dämonisieren oder an sein Gewissen zu appellieren, ist meiner Meinung nach eine ziemlich hilflose Politik. Man muss ihm Angebote machen. Wenn man sieht, dass die Russen alleine den Weg nicht finden, muss man ihnen was anbieten. Und da reicht die Fußball-Weltmeisterschaft nicht. Fußball spielen können sie nämlich auch nicht gut...
Finden Sie es gut, dass 2018 eine Fußball-WM in Russland stattfindet?
Kaminer: Ja, ich denke, das wäre auch ein Ersatz für den Krieg. Alles was den Krieg ersetzen kann - Politik, reden, Fußball spielen - muss gemacht werden.
Was machen Sie gerade, wenn Sie mal nicht Fragen über Putin beantworten?
Kaminer: Ich habe für 3sat eine Serie gedreht, eine Mischung aus Heimatfilm und Kulturreport, die ab August läuft. Dafür bin ich in die entlegensten und verrücktesten Orte Deutschlands gefahren, und habe dort sehr interessante Künstler besucht. Und im September erscheint mein neues Buch: "Das Leben ist (k)eine Kunst". Da geht es um Kunstprojekte, um alternative Lebensentwürfe, die sehr oft scheitern. Ich beschreibe, wie unterschiedlich man scheitern kann. Man kann auch sehr schön scheitern.
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