Die Explosion der Farbtuben

Der Blaue Reiter feiert Geburtstag – vor 100 Jahren begründeten Marc und Kandinsky Bayerns bedeutendste Künstlervereinigung
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Der Blaue Reiter feiert Geburtstag – vor 100 Jahren begründeten Marc und Kandinsky Bayerns bedeutendste Künstlervereinigung

Am Anfang war der Krach. Aber wie das bei überfälligen Streitigkeiten eben so ist, am Ende entsteht oft etwas Neues, in diesem Fall sogar Legendäres: der Blaue Reiter. Vor 100 Jahren, 1911, hatte die Künstlervereinigung um Franz Marc und Wassily Kandinsky ihre erste Ausstellung in der Galerie Heinrich Thannhauser.

Dann ging’s Schlag auf Schlag. In der kurzen Zeit bis zum Ersten Weltkrieg tat sich Sagenhaftes in München und Murnau. Die Farbtuben explodierten, oft genug auch die Formen. Und noch heute sind die Provokationen von damals ganz weit oben in den Museums-Charts. Franz Marcs leuchtend bunte Tierwelten zogen 2005 mehr als 300000 Kunstgänger ins Lenbachhaus, für Kandinsky musste man 2009 noch mehr Geduld in endlosen Warteschlangen aufbringen – über 400000 Besucher wollten in die Schau.

Aufbruch der Vereinsmeier

Im kommenden Jubiläumsjahr wird das zumindest in München ausbleiben. Das Lenbachhaus ist eine Baustelle, und der Blaue Reiter galoppiert durch die Welt (siehe Interview). Dafür wird zwischen Murnau, Penzberg und Bernried ein „Blaues Jahr“ ausgerufen. Bleibt zu hoffen, dass sich die kleineren Häuser, die das Reiter-Erbe oft mit geringen Mitteln und umso mehr Hingabe pflegen, vom Geburtstags-Hype profitieren.

Aber zurück zum Krach. 1909 schon hatten Schwabinger Künstler um Marianne von Werefkin, Kandinsky, Alexander von Jawlensky, Adolf Erbslöh oder Alexander Kanoldt den großen Aufbruch im Sinn und gründeten die Neue Künstlervereinigung München. Mit allerlei kleinlichen Statuten. Die eher konservativen Vereinsmeier kamen mit Kandinskys abstrakten Tendenzen nicht klar. Es wurde gemäkelt, gelästert, und am Ende zogen Kandinsky, Marc und Münter die Konsequenzen, setzten sich ab – und hatten längst ihren Avantgarde-Auftritt in einer eigenen Ausstellung vorbereitet.

Künstler-Rache ist süß

Die lief auch noch parallel zur Schau der Ex-Kollegen – vom 18. Dezember 1911 bis zum 1. Januar 1912 bei Thannhauser an der Theatinerstraße7. Auch Künstler-Rache ist süß. Ausgestellt waren etwa 50 Werke, darunter Arbeiten von Heinrich Campendonk, Robert Delaunay, August Macke, des hoch verehrten Naiven Henri Rousseau und des malenden Komponisten Arnold Schönberg. Also das Who’s who der Kunstwelt.

Der Name der neuen Gemeinschaft – diesmal ganz ohne feste Regeln – war schon Monate zuvor kreiert worden. Wenn man Kandinsky glauben darf, am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf, also beim Ehepaar Marc. „Beide liebten wir Blau“, schrieb Kandinsky Jahre später, „Marc – Pferde, ich – Reiter.“ Und was den beiden wichtig war, hatten sie Ende Oktober 1911 in einer legendären mehrtägigen Redaktionssitzung in Murnau zusammengetragen (dazu gibt’s eine Lesung – siehe Kasten). Übrigens im Haus von Münter und Kandinsky. Das Ergebnis war der berühmte Almanach „Der Blaue Reiter“, bis heute die Kunstbibel der bayerischen Avantgarde. Insofern hatte der Krach etwas Erfrischendes, ja, Revolutionäres.

Christa Sigg

100 Jahre Blauer Reiter in Oberbayern - Die Ausstellungen

„Die Maler des Blauen Reiter und der Japanismus“, 22. Juli bis 7. November 2011 im Schlossmuseum Murnau, Im Schlosshof 2-5, Di bis So 10 bis 17 (Juli bis Sept. bis 18) Uhr, Tel. 08841/47 62 01, www. schlossmuseum-murnau.de

„Franz Marc. Leben und Werk“, bis 4. November 2011 im Franz Marc Museum, Franz-Marc-Park 8-10, Kochel a. See, Di bis So 10 bis 17 (April bis Okt. bis 18) Uhr, Tel. 08851/92488-0, www.franz-marc-museum.de

„Joseph Beuys und Franz Marc“, 18. September bis 27. November 2011 im Franz Marc Museum, s.o.

„Die Blaue Brücke – Wegbereiter und Weggenossen des Blauen Reiter“, 10. April bis 30. Dezember 2011 im Buchheim Museum, Am Hirschgarten 1, Bernried, Tel. 08158/ 997061, www.buchheimmuseum.de

„Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Perlenstickerei und Textilarbeiten“ im Münter-Haus Murnau, Kottmüllerallee 6, Di bis So 14 bis 17 Uhr, Tel. 08841/628880, www.lenbachhaus.de

„Heinrich Campendonk – Die Penzberger Sammlung“, Arbeiten aus der eigenen Sammlung und dem kürzlich erworbenen Nachlass Campendonks, ab April bis 19. Juni 2011 im Stadtmuseum Penzberg, Karlstraße 62, bis 16. Januar: Do 14 bis 20, Sa 14 bis 17 und So 11 bis 17 Uhr; sonst im Winter: Di, Sa, So 14 bis 17, Do bis 20, So ab 11 Uhr, Tel. 08856/813400, www.museum-penzberg.de

„Licht. Farbe. Einsamkeit. Heinrich Campendonk – Ein blaues Leben“, 1. Juli bis 23. Oktober im Stadtmuseum Penzberg, s.o.

„Die exotischen Motive der Künstlergruppe Blauer Reiter“ vermutlich ab Juli 2011 im Völkerkundemuseum München, Maximilianstr. 42, Di bis So 9.30 bis 17.30 Uhr, Tel. 210136-100, www.voelkerkundemuseum-muenchen.de

BLAUER REITER BOX

Die Tourismusämter Oberbayerns bieten Reisepakete für Individualreisende, bestehend aus: Übernachtungsangeboten, Eintritten in Museen und weiteren Attraktionen

FÜHRUNGEN

„Auf den Spuren des Blauen Reiter in München-Schwabing“, ca. 2 Stunden, Information unter Tel. 233-30234

„Auf den Spuren des Blauen Reiter in Murnau und Kochel“, Information unter Tel. 08841/614119

„Auf den Spuren Heinrich Campendonks und seiner Malerfreunde“ in Penzberg und Umgebung, ca. 90 Min., Information unter Tel. 08856/82346

SZENISCHE LESUNG

zur Redaktionssitzung von Wassily Kandinsky und Franz Marc am 20. Oktober 2011 im Kunstbau des Lenbachhauses, Königsplatz

Die Termine der Ausstellungen können sich zum Teil noch verschieben

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