Die erotische Begegnung mit der eigenen Vergangenheit
Nein, mit George Clooney hat Bettina Bruinier wenig am Hut. Sie habe die Kino-Adaption von „Solaris” mit dem US-Star zwar kurz nach Erscheinen des Films 2002 gesehen, meint die 36-jährige Regisseurin. aber dann doch schnell wieder vergessen. Ihre Erinnerung frischte sie erst wieder auf, als sie schon in den Proben für ihre Theater-Version steckte: „Das hätte mich nervös gemacht, mich vorab mit den Möglichkeiten zu befassen, die im Theater nicht gegeben sind.”
Dreimal wurde „Solaris” verfilmt. Den Kino-Klassiker des Russen Andrei Tarkowskii von 1972 hat Bruinier sich erst gar nicht angeschaut. Viel wichtiger ist ihr die literarische Vorlage, der Roman des Polen Stanislaw Lem von 1968, aus dem sie zusammen mit Katja Friedrich eine Bühnenfassung kondensiert hat, um diese für das Münchner Volkstheater in Szene zu setzen.
"Der Planet will eigentlich nichts"
In Lems Science-Fiction-Fantasie fliegt Psychologe Kelvin zu einer Raumstation auf Solaris, um dort nach dem Rechten zu schauen. Der Planet wird von einer intelligenten Substanz in Form eines Ozeans umgeben, dessen Wesen von Wissenschaftlern untersucht wird, wobei es dabei zu seltsamen Vorkommnissen kommt: Die Crew wird von „Gästen” aus der Vergangenheit heimgesucht, so auch Kelvin, der seine ehemalige Geliebte Harey wiedertrifft. Sie brachte sich einst auf der Erde selbst um und erscheint ihm nun als lebendige Frau, geschaffen vom Planeten Solaris. Aber mit welchen Absichten?
„Ich glaube, dass der Planet eigentlich nichts will. Er ist eine Konstruktion”, sagt Bettina Bruinier, die nicht immer, aber immer wieder Literatur auf theatrale Form bringt, zum Beispiel Juli Zehs Krimi „Schilf” – eine Inszenierung, für die sie beim „Radikal Jung”-Festival 2008 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.
Dass Lems Roman in den letzten Jahren schon auf Bühnen jenseits Münchens zu sehen war, verwundert sie nicht. Die psychologisch-philosophischen Fragen der Vorlage könnten ohne Special Effects durchgespielt werden: „Im Grunde geht es bei ,Solaris’ um die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit sowie Fragen der Kommunikation und des Kontakts: Inwiefern sehe ich den anderen nur als Spiegel meiner selbst oder als autonomes Gegenüber?”
Wie eine Flipperkugel schießt der Held durch die Versuchsanordnung
Wie aus seinen Erinnerungen und Träumen geboren, erscheint Harey dem Astronauten Kelvin und ist doch ein Wesen mit eigenem Bewusstsein, das bald selbst merkt, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Eine komplexe Rolle für Lenja Schultze, die seit dieser Spielzeit im Ensemble des Volkstheaters ist. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass Harey völlig natürlich sein muss”, erzählt Bettina Bruinier, „Wenn sie ständig aussendet, ich bin eigentlich gar keine Frau, kann Kelvin ihr nicht verfallen. Hareys Konflikt ist dabei, dass sie die Wahrheit wissen will und sich ihre Selbstwahrnehmung verschiebt, weil sie den Blick der anderen spürt. Wobei das ja uns allen so gehen kann.”
Seinen Sinnen kann auch Kelvin nicht trauen: Im Roman ist er der Ich-Erzähler, auf der Bühne wird die Aktion auf ihn ausgerichtet: „Man soll merken, dass alles nur über ihn wahrgenommen wird. Die anderen Wissenschaftler bleiben geheimnisvoll. Man weiß nicht, was ihr Interesse ist: Ist es der Ozean? Oder experimentieren sie mit Kelvin? Oder sind sie Teile von ihm?” Durch diese Versuchsanordnung wird der Held „wie eine Flipperkugel durchgeschossen”, meint Bettina Bruinier, und weiß dann auch gar nicht genau, ob ihr Hauptdarsteller Pascal Fligg den Film mit George Clooney gesehen hat: „Theater ist sowieso was ganz anderes”, meint die Regisseurin, und muss dann zurück, zur Bühne, zu den Proben, zu ihrem Planeten.
Volkstheater, morgen, 19.30 Uhr, Tel. 523 46 55,, heute, Generalprobe, 19.30 Uhr, 6 Euro