Die Eisheilige: Netrebko am Königsplatz
Saukalt war es am Königsplatz, und dennoch wärmte Anna Netrebko bei ihrem Auftritt mit Dmitri Hvorostovsky die Herzen der hartgesottenen Münchner Klassikfans.
Um sieben tröpfelte es, aber die dunklen Gewitterwolken zogen rechts und links am Königsplatz vorbei, um sich über den Münchner Biergärten abzuregnen. Dann füllte sich der Platz langsam mit rund 12000 Netrebko-Fans in Mänteln und Anoraks. Aber auch vereinzelte Smokings und Abendkleider wurden passend zu den Preisen von 60 bis 300 Euro gesichtet.
Kurz nach acht schien die Abendsonne durch die Säulen der Propyläen. Das Orchester des Mariinsky Theaters St. Petersburg erschien auf der erstaunlicherweise nur mit Grünzeug, aber nicht mit Blumen geschmückten Bühne. Dann eine erste Enttäuschung: Michail Glinkas Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“, eines der brillantesten Orchesterstücke überhaupt, schepperte dünn wie aus einem alten Küchenradio. Mit Anna Netrebkos Auftritt im roten Kleid wurde es besser: Begleitet von ihrem Entdecker, dem Dirigenten und Mariinsky-Chef Valery Gergiev sang sich die dekorative Kavatine aus dem ersten Akt dieser Oper, mit der 1995 ihr Aufstieg in den Weltruhm begann. Ihr üppiger, von der Tontechnik gut eingefangener Sopran deckte koloratursicher das in den Hintergrund gedrückte, sehr basslastige Orcheter zu.
Aber man hörte sich ein. Dmitri Hvorostovsky legte Herzenswärme und Eleganz in die Arie des Jeletzky aus Tschaikowksys „Pique Dame“. Der junge Tenor Sergej Skodorokhdov überraschte im emphatischen Duett aus „Iolante“ mit heldischem Metall: Das Ensemble des Petersburger Opernhauses ist immer für eine Überraschung gut.
In der Schlusszene aus „Eugen Onegin“ bezwang die Netrebko wieder mit ihrer Kunst, jede Figur mit ein paar Gesten zu umreißen und ihr mit der Stimme eine eigene Farbe zu geben. Sie und Hvorostovsky sind hier ein perfektes Paar. Passend zur Verdüsterung von Onegins Schicksal nahten von Westen dunkle Wolken. Aber es scheint trocken zu bleiben. Akustisch bleibt der Königplatz bei Klassik heikel: Ohne Bauten am Rand verflüchtigt sich der Klang.
Rein musikalisch war der erste, russische Teil des Konzerts bis zur Pause musikalisch ohne Tadel und gut zusammengestellt. Die Kälte hatte auch einen Vorteil: Bier und der Champagner zu 8 Euro pro Glas blieben kalt. Ob die Netrebko am Ende wie in Braunschweig durch einen Tanz die Stimmung zum Sieden brachte, darüber am Montag mehr. Vorerst steigerte sich der Applaus nicht über Freundlichkeit hinaus.
Robert Braunmüller