Die Eidgenossen machen vieles besser

Schweiz-Bashing ist wieder mal in Mode. Da kommt es gerade recht, dass ein angesehener deutscher Publizist eine Lanze für unser Nachbarland bricht. Denn Europa kann vieles von den Eidgenossen lernen.
Thomas Burmeister |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Bewunderung und Beschimpfung. Zwischen diesen Polen pendeln die Reaktion der Außenwelt immer wieder auf das jeweilige Geschehen in der Schweiz. Als am 9. Februar eine äußerst knappe Mehrheit der abstimmenden Eidgenossen (50,3 Prozent) dafür votierte, die Zuwanderung in die Alpenrepublik zu begrenzen, löste dies im Ausland einen Sturm der Entrüstung aus.

Wenige Wochen danach kommt nun ein Buch des deutschen Journalisten Wolfgang Koydl auf den Markt, das geeignet ist, manchen notorischen Kritikern der Eidgenossenschaft Zornesröte ins Gesicht zu treiben. Allein schon beim Anblick des Covers: Da reißt sich jemand wie Superman das Hemd auf, um darunter stolz die Schweizer Flagge mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund vorzuzeigen. Titel: „Die Besserkönner“.

Auf gut 200 Seiten schreibt Koydl – seit 2011 Schweiz-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ und vorher in vielen anderen Teilen der Welt im Reportereinsatz – gegen das nur allzu oft von Sachkenntnis unberührte Schweiz-Bashing europäischer Politiker an. Das Buch ist ein hochaktuelles, anschaulich geschriebenes und oft amüsantes Lehrstück über den Schweizer Nationalcharakter, die Wirtschaftsmacht und das politische System des Alpenlandes. Koydl (Jahrgang 1952) macht kein Hehl aus seiner Bewunderung für das „Schweizer Modell“.

Das tut gut. Und es kommt zur rechten Zeit. Denn bei aller, oft berechtigten Kritik der letzten Jahre – von der (inzwischen eingestellten) Beihilfe Schweizer Banken für ausländische Steuerbetrüger bis zur „Rosinenpickerei“ in den Beziehungen zu den EU-Nachbarn – wird zu oft übersehen, dass die Schweiz ein urdemokratisches, freiheitliches, innovatives und enorm wettbewerbsfähiges Land ist. Ein modernes Land im Herzen Europas, von dessen jahrhundertealter direkter Demokratie sich der Rest des Kontinents mehr als nur eine Scheibe abschneiden kann und sollte.

Schlanker Staat

Zu Recht sind Schweizer stolz darauf, dass sie ebenso effiziente wie „schlanke“ Behörden haben, eine Wirtschaft, die wie kaum eine andere der Finanzkrise widersteht, eine erstklassige Infrastruktur, ein beispielhaftes Bildungs- und Gesundheitssystem und obendrein nahezu Vollbeschäftigung. Von alldem kann so manches EU-Mitgliedsland nur träumen. Und kein einziges – auch nicht die Bundesrepublik – kann seiner Bevölkerung ein so hohes Maß an echter Demokratie bieten, wie die Eidgenossenschaft. Anders als Deutsche, Franzosen oder Italiener können Schweizer ihren Politikern nicht nur alle vier, fünf Jahre bei Wahlen Denkzettel verpassen, sondern per Volksentscheid oder Volksinitiative ständig mitregieren.

Koydl wirft Fragen auf, die auch immer mehr Menschen in Deutschland angesichts des Treibens ihrer Politiker beschäftigen: „Warum sollen nur Schweizer Wählerinnen und Wähler an der Wahlurne Gesetze absegnen oder auf den Weg bringen dürfen? Warum haben nur sie das Recht, selbst zu entscheiden, wie viele Steuern sie zahlen wollen und wofür der Staat ihr Geld ausgeben darf?“ Koydls Fazit aus dem Vergleich der Schweizer Demokratie mit dem Brüsseler Politikmodell gerät zu einer Breitseite: „Das Schweizer System läuft diametral dem europäischen System zuwider, wie es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Dort wird immer mehr Macht in immer weniger Händen konzentriert. Dort hat sich eine Kaste von Berufspolitikern etabliert, die von Alltag ihrer Wähler Lichtjahre entfernt ist. Und dort rafft die europäische Bürokratie immer mehr Vollmachten an sich, die sie letzten Endes gar nichts angehen.“

Helvetischer werden!

Die Schweiz, meint Koydl, müsse durchaus nicht europäischer werden. Vielmehr täte es Europa gut, helvetischer zu werden. Die beiden Nachworte haben Schweizer Persönlichkeiten geschrieben, die gleichsam die politischen Gegenpole aller Debatten über den Weg der Eidgenossenschaft repräsentieren: Christoph Blocher, der Milliardär und Ziehvater der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei, lobt das Buch als ein „klug analysiertes Stück Lebenswirklichkeit“. Der große linke Denker Jean Ziegler bemängelt, ihm fehle eine „Auseinandersetzung mit der pathologischen, nachtdunklen Seite der Schweiz“. Doch Ziegler meint auch: „"Die Besserkönner" ist ein genau recherchiertes, blitzgescheites Buch.“ Es könne helfen, dem „schon fast konstitutiven Nicht-Wissen über die Schweiz“ im Ausland Abhilfe zu schaffen.

 

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.