Die dreifache Rächerin

Salzburger Festspiele: Sebastian Nüblings postmoderne „Judith“- Collage nach Hebbel und Vivaldi auf der Perner-Insel
von  Abendzeitung

Salzburger Festspiele: Sebastian Nüblings postmoderne „Judith“- Collage nach Hebbel und Vivaldi auf der Perner-Insel

Der Anfang war hoffnungsvoll. Zu zarter Geigenmusik erschien ein lebendes Bild von Judith und dem Kopf des Holofernes. Vier Sänger skandierten zum Cembalo die biblische Vorgeschichte. Mitten im von Trompeten umschmetterten Eingangschor von Vivaldis lateinischem Oratorium „Juditha triumphans“ röhrten vier kahlgeschorene Halbstarke in Saxofone, liefen vor lauter Kraft die Wände hoch und würgten die barocken Klänge ab.

Das hatte Kraft. Mit den ersten Worten aber war’s vorbei: Für den barsch-brutalen Sarkasmus von Friedrich Hebbels Holofernes war der sonore Schauspieler Sebastian Kowski viel zu nett und tapsig. Natürlich wirkt es poetisch, wenn der Countertenor Daniel Gloger zum großmäuligen Nihilismus seiner Tiraden mit zärtlichem Gesang im Reifrock seine weibliche Seite verkörpert. Aber der Kraftkerl hat keine, und die Vervielfältigung lässt ihn harmloser als nötig erscheinen.

Judith tritt in dieser Collage des Regisseurs Sebastian Nübling dreifach auf. Stephanie Schönfeld gibt im grünen, hochgeschlossenen Kleid Hebbels keusche Witwe als neurotische Frau des 19. Jahrhunderts. Wenn sie von ihrer nie vollzogenen Ehe berichtet, setzt Anne Tismer mit rotziger Stimme den gegenwärtigen Kontrapunkt eines wilden, aber unbefriedigt lieblosen Sexuallebens dagegen.

Die Schauspielerin schrieb sich selbst diese vor Klischees strotzenden Ausbrüche eines zornigen jungen Mädchens. Das unter der Belagerung des Holofernes dürstende Bethulien inspirierte sie zu einem Leitartikel über die Wasserfrage in der Dritten Welt. Nach einiger Zeit ist die singende Erscheinungsform des Feldherrn so freundlich, das hysterische Gezeter mit einer Arie von Vivaldi zu übertönen.

Löbliche Seminararbeit des Regisseurs

Vor der Bühne sitzt ein wackeres Barockorchester (Leitung: Lutz Rademacher). Der freie Umgang mit der Musik ist eine Stärke der Aufführung, wenn Judith Nr. 3 (Tajana Raj) postkoitale Ruhe und Friedfertigkeit als barocken Tango zu E-Gitarre ins Mikro haucht. Ihre vorangehende Vergewaltigung durch Holofernes spart als Stadttheaterorgie nicht mit F-Worten, Selbstbefriedigung und eingesauter Bühne. Da regiert jenes „Gezucke und routiniert hysterische Geschrei“, das der Schriftsteller Daniel Kehlmann in seiner Rede zur Eröffnung der Festspiele als erstarrtes Regietheater-Ritual geißelte.

Praktisch wie Frauen nun mal sind, planen die drei Judiths gemeinsam, wie der Kopf vom Rumpf des Feldherrn zu trennen sei. Gezeigt wird dies dann zu zarter Musik in einer raschen Folge nachgestellter Barock-Gemälde. Der Rauch einer Zigarette des in die Betrachtung seines Schicksals versunkenen Holofernes zeichnet diesen kunsthistorischen Exkurs weich. Das ist wieder stark. Der überwiegende Rest aber ist eine löbliche Seminararbeit des Regisseurs zur Mehrstimmigkeit einer mythischen Erzählung. Leider wirkt dieser postmoderne Ansatz nicht mehr frisch. Vivaldis farbige Musik verleiht der Aufführung einen Rhythmus, birgt aber zugleich die Gefahr berechneter Glätte.

Der Verschnitt aus Barockmusik, Bibel und Drama könnte eine reizvolle Cuvée ergeben. Hier grenzte er an Gepansche, bei dem die lärmige Gegenwart von Tismers Texten für leichte Kopfschmerzen sorgte.

Robert Braunmüller

Perner-Insel Hallein, heute und 31. Juli, 2., 4., 6. und 7. August, 19.30 Uhr; Karten unter www.salzburgerfestspiele.at

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