Die Biennale startet: Wo die Stars von Löwen träumen
VENEDIG - Die 66. Ausgabe der Mostra in Venedig beginnt – das älteste Filmfest der Welt hat eine glanzvoll bewegte Geschichte. Hier beichtete schon Remarque der Dietrich seine Impotenz.
Die letzten Jahre standen sie immer Spalier, bronzefarben, über dem roten Teppich thronend, nächtlich von unten angestrahlt auf weißen Säulen, als ob Leni Riefenstahl einen neuen Lichtdom entworfen hätte: über 60 geflügelte, lebensgroße Markuslöwen, das Symbol der Biennale. 66 hätten es jetzt sein müssen, zur 66. Mostra d’Arte Cinematografica. Aber es ist, als ob sie beleidigt abgeflogen wären, vertrieben von Baulärm und Chaos.
Denn Festivalchef Marco Müller will beim Kampf der wichtigsten Film-Festivals mit Berlin und Cannes nicht verlieren. Ein neuer Palazzo del Cinema wird gebaut, und der alte, weiße Mussolinibau ist schon halb verdeckt vom Bauzaun, bemalt mit der magischen Zahl 2011, patriotisch geschrieben in rot-weiß-grün: Zum 150. Geburtstag der Einigung Italiens soll das neue Festivalzentrum fertig sein, und die Bautafel lässt Schreckliches ahnen: Eine riesige Amöbe mit einem Wellenschwung-Dach und braun-metallischer Außenhaut mit wabenartiger Fensterfront haben der Italiener Rudy Picciotti und das Büro „5+1“ entworfen.
Im Umfeld der Großbaustelle bleibt als mondäner Ort nur das nahe orientalische Grandhotel Excelsior, das auf Charlize Theron wartet, die Viggo Mortensen und Robert Duvall mitbringt, für einen von sechs US-Beiträgen zum Wettbewerb mit 24 Filmen aus 32 Ländern.
"Ich bin total impotent", sagte Erich Maria Remarque
Auf der Terrasse, die jetzt von Werbezelten der Festival-Sponsoren verstellt ist, begann 1932 die Geschichte dieses ältesten Filmfests der Welt, erfunden vom Hotelier zur Verlängerung der Tourismus-Saison am Lido. Und es funktionierte. Clark Gable kam, Joan Crawford oder Greta Garbo folgten.
Deren Intimfeindin Marlene Dietrich logierte dagegen im Grand Hotel Des Bains, dem legendären Ort von Thomas Manns „Tod in Venedig“. Mit Bewunderern, Leibwächtern und Regisseur Joseph von Sternberg saß die Dietrich Champagner trinkend an einem Außentisch, als am 7. September 1937 ein dandyhafter Herr hinzutrat, einen formvollendeten Handkuss gab und sie in ihm einen Seelenverwandten fand: Erich Maria Remarque, der Schriftsteller von „Im Westen nichts Neues“, der ihr sogleich beim intimen Strandspaziergang gestand: „Ich bin total impotent“, was die Dietrich „wunderbar“ fand, genervt von der Dauerabwehr dutzender Verehrer.
Die Glanzzeit des Festivals währte nur kurz. Das Film-Projekt versackte bald in faschistischer Provinzialität, Italien und Deutschland schacherten sich die Preise zu. „Triumph, Triumph“, brüllte Nazi-Propagandachef Goebbels, als Veit Harlan 1940 mit dem antisemitischen „Jud Süß“ den Goldenen Löwen gewann.
Aber da hatte sich die freie Welt 1939 bereits angewidert abgewandt und ein anderes Festival gegründet, in Frankreich – vor dem überraschenden Einmarsch deutscher Truppen. Der Krieg verhinderte die Verwirklichung, aber seit 1946 hat Venedig Cannes als Konkurrenz.
Im Gegensatz zu Cannes ist man hier nicht deutschfeindlich
Doch Venedig schlägt sich tapfer, weil die Stars lieber an den Lido fahren als an die Côte d’Azur. Hier atmet man freier, ist die Atmosphäre lockerer, kann man schon einmal Anthony Hopkins versonnen im legeren Sommeranzug nachts am Strand entlanggehen sehen, weil er nicht schlafen kann. Oder den scheuen Woody Allen mit seiner asiatischen Frau treffen. Der New Yorker Stadtneurotiker besitzt am Canal Grande sogar einen Palazzo.
Einen Film, „The Men Who Stare at Goats“, hat man „außer Konkurrenz“ eingeladen, damit er kommt, denn „der Löwe vom Lido“, wie man ihn hier nennt, gehört seit fünf Jahren zum Festival-Inventar: George Clooney, dessen Anwesen am Comer See ja fast nebenan ist. Im Gegensatz zu Cannes ist man in Venedig traditionell nicht deutschfeindlich und so sind zwei Beiträge „made in Germany“ im Wettbewerb: Werner Herzog hat eine Art Remake von Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ gedreht und bringt am Freitag Nicolas Cage an den Lido mit.
Für deutsche Patrioten bleibt es bis zuletzt spannend, denn Fatih Akin kommt erst am Ende des Festivals mit Moritz Bleibtreu und dem Film „Soul Kitchen“. Romuald Kamarkar darf in der Reihe für exzentrischere Filme seine Doku „Villalobos“ zeigen, und zu den parallelen „Autorenkinotagen“ kommt das schwarze Ex-Supermodel Waris Dirie, um die deutsche Verfilmung ihrer Autobiografie „Wüstenblume“ vorzustellen.
So gibt es für den deutschen Film viel zu feiern. Der deutsche Empfang ist in diesem Wirtschaftskrisenjahr – statt in Wagners Sterbe-Palazzo, Ca’ Zenobio – bescheidener in die lässigste Strandbar umgezogen.
Adrian Prechtel