Die Begegnung mit sich selbst

Ovationen für Josef Bierbichlers Gastspiel „Das letzte Band“ in den Kammerspielen
von  Abendzeitung

Ovationen für Josef Bierbichlers Gastspiel „Das letzte Band“ in den Kammerspielen

Er ist derzeit auf der Leinwand präsent wie kaum ein anderer deutscher Schauspieler. In Michael Hanekes Thriller „Das weiße Band“, der gerade in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, spielt er einen Gutsverwalter. In der Wolf-Haas-Verfilmung „Der Knochenmann“ ist er neben Josef Hader zu sehen, im Familiendrama „Der Architekt“ wird er als Hauptdarsteller mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Und in Caroline Links „Im Winter ein Jahr“ fühlt er sich als Maler in eine Geschwister-Beziehung ein, mit Hans Steinbichler drehte er „Winterreise“ und „Hierankl“. Doch auch vom Theater, zu dem er ein kritisches Verhältnis pflegt, hat sich der 60-jährige Ausnahmeschauspieler nicht zurückgezogen. An der Berliner Schaubühne brachte er seinen eigenen Monolog „Holzschlachten“ heraus, er spielt dort Ibsens „John Gabriel Borkmann“ und „Das letzte Band“ von Samuel Beckett.

Thomas Ostermeiers kühle, klare Ibsen-Inszenierung wurde vor einer Woche als Gastspiel in den Münchner Kammerspielen gefeiert. Nun wurde Bierbichler hier auch als alter Krapp in B.K. Tragelehns filigraner Beckett-Inszenierung mit Ovationen bedacht, die er mit ironischem Lächeln entgegennahm.

Starke Spannung, stille Komik – fein und filigran

„Eines Abends, spät, in der Zukunft“ steht an der Rückwand: der erste Satz aus Becketts 1958 uraufgeführtem Text. Bierbichler setzt sich an den Schreibtisch – und lässt sich Zeit. Fast 20 Minuten dauert es, bis das erste Wort fällt. Bis dahin kramt er in den Schubladen, fördert Bananen zu Tage, die er isst (und auf deren Schale er in einer Slapstick-Andeutung ausrutscht). Er holt einen Videorecorder, der das Tonband ersetzt, einen Monitor, baut alles sorgfältig und kurzsichtig auf. Und bei jedem Abgehen und Auftreten variiert er auf den Stufen zum Podest seine Schritte.

Das Video zeigt Krapp vor 30 Jahren, während sich Bierbichler auf der Bühne mit einer weißen Zottelperücke in den alten Krapp verwandelt, der sich einer früheren Liebe und des versäumten Lebensglücks erinnert. Der Albert-Einstein-Schnauzer und die lila Trinkernase, die ihn wie einen Clown aussehen ließ – beides fehlte in München. Doch die Konfrontation mit dem jüngeren Ich entwickelt in diesen leisen, unglaublich fein und genau gearbeiteten 75 Minuten eine starke Spannung, nicht ohne stille Komik. Großer Applaus.

lo

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.