Die Bayreuther Befreiung

Einsicht zum Ende: Der 88-jährige Patriarch Wolfgang Wagner macht den Weg frei. Mit dem Rücktritt des knorrigen Oberfranken geht eine Ära deutscher Musikgeschichte zu Ende.
von  Abendzeitung

Einsicht zum Ende: Der 88-jährige Patriarch Wolfgang Wagner macht den Weg frei. Mit dem Rücktritt des knorrigen Oberfranken geht eine Ära deutscher Musikgeschichte zu Ende.

Die Ära der Stagnation hat ein Ende: Wolfgang Wagner tritt von seinem Lebenszeitvertrag zurück. „Hiermit erkläre ich, dass ich die Leitung der Festspiele bis spätestens zum 31. August 2008 niederlegen werde“, heißt es in dem Brief vom 28. April, der am Dienstagnachmittag bei der Sitzung des Stiftungsrats in Bayreuth verlesen wurde.

Wagner schreibt darin, er halte es „für an der Zeit“, die Verantwortung für die Festspiele abzugeben. Er werde in seinem Beschluss bestärkt durch den Umstand, „dass sich für die Gestaltung der Zukunft der Bayreuther Festspiele eine einvernehmliche, von breitem Konsens getragene Lösung abzeichnet“.

Das heißt: Der Patriarch hat sich durchgesetzt. In Bayreuth geht es seit Jahren zu wie bei Dallas oder dem Denver-Clan. Verschiedene Linien der Wagner-Familie liegen miteinander im Clinch. Nach dem Tod seines Bruders Wieland verdrängte Wolfgang Wagner dessen Nachkommen. Seine zweite, 1976 geschlossene Ehe führte zum Zerwürfnis des Wagner-Enkels mit seiner ersten Tochter Eva. Neue Kronprinzessin wurde die 1978 geborene Komponisten-Urenkelin Katharina.

Der überraschende Tod ihrer Mutter im vergangenen November brachte die beiden lange verfeindeten Halbschwestern einander näher. Ihr gemeinsames Konzept für die Zukunft der Festspiele liegt seit Freitag dem Stiftungsrat vor. Das Nachsehen hat Wieland Wagners Tochter Nike, die früher mit Eva Wagner ein Bewerbungsduo bildete.

Mit dem Rücktritt des knorrigen Oberfranken geht eine Ära deutscher Musikgeschichte zu Ende. Vielleicht ist das mütterliche Erbe für seine zuletzt siegreiche Sturheit verantwortlich. Wolfgang ist der Spross von Richard Wagners Sohn Siegfried und der eisernen Winifred Wagner, einer glühenden Nationalsozialistin, die auch nach dem Krieg an ihrer Freundschaft zu Adolf Hitler unbeirrt festhielt.

Wolfgang selbst ist Hitler, der in der Villa Wahnfried ein- und ausging, in seiner Kindheit und Jugend oft begegnet. Die politische Belastung der Mutter bot Wolfgang und seinem Bruder Wieland nach Kriegsende die Chance für einen Neuanfang in Bayreuth.

1973 brachte Wolfgang Wagner das Festspielhaus und den Familienwohnsitz Villa Wahnfried in eine Stiftung ein, an der neben der Familie auch öffentliche Institutionen beteiligt sind. Außerdem förderte er die Gründung des Mäzenatenvereins „Freunde von Bayreuth“, der bis ins Jahr 2000 mehr als 25 Millionen Euro für den Festspielbetrieb spendete. 1953 rang Wagner dem Bund eine Zusage für Zuschüsse ab. Später beteiligten sich auch der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth. Dass der Festspielbetrieb lange Zeit auf festen wirtschaftlichen Fundamenten ruhte, ist vor allem Wolfgangs Verdienst. Erst in jüngster Zeit war wiederholt von einer „finanziellen Schieflage“ des bedeutendsten deutschen Musikfestivals die Rede.

Die ausgebotete Nike Wagner wirkt resigniert. Sie kämpfte bislang für eine Erneuerung der Festspiele durch eine Erweiterung des Programms. Die „ersehnte und erträumte Doppelspitze mit meiner Cousine Eva“ sei geeignet gewesen, dies zu verwirklichen. Sie wisse um die Schwierigkeiten, das alte „Monument Bayreuth“ und das junge Kunstfest Weimar miteinander zu mischen. Weimar habe eine Vielzahl an Persönlichkeiten, Bayreuth setze allein auf die „Monokultur Wagner“.

„Bayreuth, wie es heute existiert, interessiert mich nicht mehr“, notierte Thomas Mann 1924 in einer kurzen resignativen Phase. Wir jedenfalls bleiben dran: Mit dem Rücktritt des Patriarchen ist der Streit auf dem Hügel gewiss nicht zu Ende.

Robert Braunmüller

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