Die Banalität des Bösen
Die erste Premiere der Festspiele: Regisseur Luc Bondy über New Yorker Buhs und seine Inszenierung von Puccinis „Tosca“
Nach 35 Jahren bekommt München eine neue „Tosca“. Die Aufführung ist eine Ko-Produktion mit der New Yorker Met. Karita Mattila, Jonas Kaufmann und Juha Uusitalo singen in diesem Opernkrimi über eine Primadonna, der ein lüsterner Polizeichef nachstellt. Der Regisseur Luc Bondy erschien zum Interview in einem Lokal gegenüber der Oper mit Zeitungen und einem dicken Taschenbuch.
AZ: Herr Bondy, was lesen Sie gerade?
LUC BONDY: Einen Roman von Dostowjewski: „Der Jüngling“. Bei Proben zu einer Wiederaufnahme braucht man eine geistige Auseinandersetzung.
Haben Sie gegenüber New York nichts verändert?
Doch. Cavaradossi und Scarpia sind neu besetzt. Das Nationaltheater hat eine viel menschlichere Größe. Meine Inszenierung nähert sich einem Kammerspiel an, Fabio Luisi dirigiert sehr nuanciert. Das passt gut zusammen.
Wieso war das New Yorker Publikum so wütend auf Sie?
Sie waren die Inszenierung von Franco Zeffirelli gewohnt. Er hat mich einen Tag vor der Premiere auf recht widerwärtige Weise in einer Zeitung angegriffen. Deshalb wurde ich in der Premiere niedergebuht. Ich war weniger verletzt, eher erstaunt.
„Tosca“ spielt während der napoleonischen Kriege in Rom. Wird man das sehen?
Im Text kommt die Schlacht von Marengo vor. Das war im Jahr 1800. Es hat daher keinen Sinn, einen Motorradfahrer auf die Bühne zu stellen. Wenn von einem Wald die Rede ist, reicht auf der Bühne kein Stuhl. Aber es wäre erlaubt, etwas Feineres als einen Wald zu finden, ohne dass ich einem Interpretationswahn das Wort reden möchte.
Der Bösewicht der Oper ist äußerlich ein eleganter Aristokrat. Inszenieren Sie das so?
Den Amerikanern hätte das sicher besser gefallen. Der Sänger Tito Gobbi hat ihn so gespielt. Aber dann geht flöten, dass dieser Mann foltern lässt. Zu Scarpia gehört eine Banalität des Bösen. Er erinnert mich an Stalins Geheimdienstchef Lawrenti Beria, der ebenfalls die Macht ausnutzte, um seine Triebhaftigkeit auszuleben.
Was will Scarpia von Tosca?
Er will sie knacken, weil sie ein Star ist, später dann wegen ihrer Verbindung zu Cavaradossi, der einen geflohenen politischen Gefangenen versteckt hält. Später, nach Marengo, ändert sich alles.
Welche Bedeutung hat diese Schlacht für die Geschichte?
Am Ende des ersten Akts wird ein Tedeum gefeiert, weil die Reaktionäre an einen Sieg über Napoleon glauben. Im zweiten Akt erfährt Scarpia, dass die Schlacht verloren ging. Er weiß: Es ist seine letzte Nacht, in der er sich mit Tosca amüsieren will.
Sie bringt ihn vorher um.
Politisch steht sie, im Gegensatz zu ihrem Geliebten Cavaradossi, auf Seiten der Königin von Neapel. Sie ermordet ihn aus privaten Motiven, begeht damit aber einen revolutionär richtigen Akt. Den Widerspruch finde ich spannend. Ähnlich entsteht in den Romanen Stendhals aus einer anti-napoleonischen Position eine Faszination für Napoleon.
„Tosca“ ist Ihr erster Puccini?
Ja. Ich kannte die Oper, weil mein Vater sie sehr geliebt hat. Verdi ist mir lieber. Aber bei Puccini gibt es sehr kühne Momente im Orchester. Ich bin sicher, dass Jazzer wie Charles Mingus von dieser Musik beeinflusst wurden.
Wie leben Sie damit, dass im Repertoirebetrieb die Nuancen Ihrer Inszenierung verschleißen werden?
Ich denke lieber gar nicht dran. Die Oper ist im Vergleich zum Schauspiel ein Riesenbetrieb. Ab einem bestimmten Punkt verliert man den Einfluss auf das, was geschieht.
Robert Braunmüller
Nationaltheater, 28. Juni, 2., 7., 10., 15., 19. Juli, ausverkauft. Die Aufführung vom 10. Juli wird als „Oper für alle“ auf den Max-Joseph-Platz übertragen, Beginn: 20 Uhr, Eintritt frei
Das "Tedeum" in Luc Bondys Inszenierung an der New Yorker Met
Die gleiche Szene in Franco Zeffirellis Inszenierung
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