„Die Arbeit ist ein Kampf“

Die Quoten stimmen, doch wirklich zufrieden ist Martin Wuttke mit seinen „Tatort“-Filmen nicht. Die Bücher sind ihm zu konventionell und die Entscheidungsprozesse viel zu langwierig
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Die Quoten stimmen, doch wirklich zufrieden ist Martin Wuttke mit seinen „Tatort“-Filmen nicht. Die Bücher sind ihm zu konventionell und die Entscheidungsprozesse viel zu langwierig

Einen Mann vom Kaliber Martin Wuttkes zum Leipziger „Tatort“ zu holen, war für die ARD nicht nur ein Wagnis, sondern auch ein Glücksgriff. Das neue Team aus Simone Thomalla und dem mehrfach preisgekrönten Theaterschauspieler hat sich eingespielt – und die Quoten stimmen. Doch zufrieden ist Wuttke mit der Reihe nicht.

Herr Wuttke, passt Ihnen die Rolle des „Tatort“-Ermittlers Keppler jetzt gut?

MARTIN WUTTKE: Schon, aber die Arbeit ist ja eher immer ein Kampf um Bücher und die Frage, wie man eine eingeführte Konstellation weiterführt und vertieft. Was diese Fragen betrifft, fühle ich mich noch nicht so wohl.

Schwebt Ihnen ein anderer Kommissar Keppler vor?

Ich könnte mir ganz andere Stoffe vorstellen, in die man diese Type da reinführt. Keppler ist angelegt als eine Figur, die man über die Situationen, in der man ihr begegnet, kennenlernt. Die letzten Filme, die wir gemacht haben, brachten für Keppler ziemlich konventionelle Ermittlungsarbeit mit sich. Ich könnte mir Fälle vorstellen, in denen man sieht, wie Keppler aus der Reserve gelockt wird, oder Fehler macht und unsicher wird.

Klingt wirklich so, als wären Sie mit den Drehbüchern unzufrieden.

Die Entscheidungsprozesse im Fernsehen sind viel langwieriger als im Theater. Ich bin noch nicht gewöhnt, die Geduld aufzubringen, die dafür offensichtlich notwendig ist. So fällt mir das Arbeiten manchmal schwer. Ich kann nicht beurteilen, warum die Bücher so konventionell sind. Allein die Zeitspannen, die notwendig sind, um ein Buch zu modifizieren, sind mir unbegreiflich. Wenn wir beim Theater so langsam arbeiteten wie beim Fernsehen, dann gäbe es keine Theateraufführungen.

Die „Tatort“-Reihe rühmt sich, aktuelle gesellschaftliche Strömungen aufzugreifen. Haben Sie sich mehr erwartet?

Ich habe da wohl eine andere Weltwahrnehmung. Der „Tatort“ bildet nicht ab, was in unserem Land passiert. Das Verhältnis ist eher anders: Man kann an den Filmen sehen, womit sich die Leute in unserem Land beschäftigen wollen.

„Falsches Leben“ greift die Unsicherheit im Umgang mit der Geschichte auf – 20 Jahre nach dem Mauerfall.

Ich bin noch nie so richtig damit klargekommen, dass im Fernsehen so etwas wie ein gesellschaftlicher Diskurs geführt wird. Ich erkenne diesen Diskurs überhaupt nicht. Es gibt nur eine Weltsicht, nämlich die richtige. Dieses Problem betrifft aber nicht nur den „Tatort“, sondern das gesamte Fernsehen.

Das Fernsehen sehen Sie ja ziemlich kritisch.

Es gibt nur eine einzige Konsensmeinung im Fernsehen, und die wird überall reproduziert – bei Herrn Beckmann, bei Kerner, bei allen. Deswegen weiß ich nicht, welche Gesellschaft sich denn im Fernsehen miteinander unterhält und verständigt. Dass zum Beispiel Kindesmissbrauch nicht gut ist, wissen wir doch alle. Das Fernsehen breitet nur Fragen aus, über die mehr oder weniger Einigkeit herrscht.

Sie haben auch angeregt, dass TV-Kommissare etwas weniger edel und aufrecht sein sollten. Wie wollen Sie denn Keppler weiterentwickeln?

Ich habe großen Spaß an bösartigen Kommissaren. Ich habe nur selten Polizisten kennengelernt, die so wahnsinnig sympathisch, sensibel, feinsinnig und menschlich sind wie die, die man aus dem Fernsehen kennt.

Was halten Sie von dem Liebesgeplänkel zwischen Keppler und seiner Kollegin?

Dieser Strang kann dem Krimi gut tun, wenn er mit den Geschichten, die man erzählen möchte, verbunden ist. Wenn er eine reine Nebengeschichte ist, die neben dem zu lösenden Mordfall steht, dann finde ich es eher langweilig.

Bedeutet Ihnen der Quotenerfolg etwas persönlich?

Am Theater merkt man schnell, wenn etwas nicht funktioniert – nämlich dann, wenn der Zuschauerraum leer ist. Mit einer „Tatort“-Ausstrahlung erreiche ich mehr Zuschauer, als ich das mit mehr als 20 Jahren am Theater geschafft hätte. Das führt auch dazu, dass ich auf der Straße mehr erkannt werde, was schön ist. Es treten ja eigentlich fast immer die Leute an einen heran, denen der Film gefallen hat. Es kommt nie vor, dass mir jemand hinterher schreit: „Du bist so gruselig!“

Rupert Sommer

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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