Die Anden im Prinzregententheater
Schüchtern und überwältigt, aber dankbar wirkt der gedrungene Mann im dunklen Anzug, als er den Applaus des Publikums im Prinzregententheater entgegennimmt. Beinahe so, als könnte er es mit 76 Jahren immer noch nicht fassen, dass der Tango ihn – Dino Saluzzi – aus einem kleinen ärmlichen Bergdorf in den argentinischen Anden auf die großen Bühnen dieser Welt geweht hat.
Etwas Verwehtes, lyrisch Kontemplatives hat auch der sehr spezielle Tango, den Saluzzi zusammen mit seinem Bruder Felix am Tenorsaxofon und der Klarinette und seiner deutschen Wahlschwester, der Münchner Cellistin Anja Lechner, anstimmt: Musik gewordene Kindheitserinnerungen, eingespielt auf „Navidad de los Andes” (ECM), bei der die zackige Rhythmik des Tango oft nur angedeutet wird.
Während Lechner und Dino Saluzzi im Duo so frei miteinander agieren wie zwei ineinander verwobene Solisten, spielt Felix Saluzzi oft nur eine Nebenrolle. Sein manchmal geradezu hornartig klingendes Tenorsaxofon bringt zwar eine zusätzliche Klangfarbe ins Spiel. Aber oft wirkt das Trio mehr wie ein perfekt eingespieltes Duo, das sich einen dritten Mann – Felix Saluzzi – ins Boot geholt hat.
Notenständer haben alle drei Musiker vor sich stehen, aber eigentlich schaut nur Felix Saluzzi in die Noten. Lechner blickt so intensiv zu Saluzzi, als ob sie die nächsten Töne von dessen zerfurchter Stirn oder in seinen Augen ablesen könnte.
Und Saluzzi? Der blickt mit dem Bandoneon auf dem Schoß, das er kurz zuvor noch geküsst hat, wie ein Sehender verzückt nach oben. Als ob seine Kindheit oder die Sterne der Anden irgendwo knapp unter der Decke des Prinzregentheaters aufgehängt wären.
- Themen:
- Prinzregententheater