Die Allmacht eines Organs
Im Herkulessaal nimmt Super-Bass René Pape die Achttausender des Liedgesangs mit Verve
Ein nahezu leerer Herkulessaal kommt in letzter Zeit häufiger vor. Aber dass ein René Pape Robert Schumanns „Dichterliebe“ vor dünn besetzten Reihen singen muss, macht mindestens ratlos. Ein paar Meter ums Eck, in der Staatsoper, löst dieser sanfte Koloss unter den Bässen orkanartige Applausböen aus. Und wer sich neben seinem Grunemanz-Sarastro-Philipp auf der Bühne zu schaffen macht, ist fast schon egal.
Donnernder Zorn
Pape nahm’s mit stoischer Gelassenheit, ließ sich allenfalls vom sich lösenden Frackwestchen irritieren. Und triumphierte ohne dieses „Ich-reussiere-in-der-Königsdispziplin“, das Liedsängern gerne im Gesicht steht. Er kleidete die fragilen Preziosen von Schubert bis Wolf in brunnenschachtdunkle Wärme. Ungewöhnlich war das, und man musste sich vor allem erst an die Macht dieses Organs gewöhnen. Was lyrischen Kollegen den Schweiß auf die Stirn treibt, nimmt er mit schierer Verve. Franz Schuberts „Atlas“ ist von donnerndem Zorn erfüllt. Heinrich Heines Frust, sein gellender Sarkasmus, den Schumann in der „Dichterliebe“ immer wieder in beißende Noten überführt, drängt nach Luft – und man versteht jedes einzelne Wort.
Wo andere arg aufs Gas treten, muss sich Pape eher im Zaum halten. Um doch Sekunden später empfindsam in die Zartheiten dieser Lieder zu gleiten. Wenn er die letzten Verse in Hugo Wolfs „Alles endet, was entsteht“ in eine fast stimmlose Ungewissheit sickern lässt, wenn ihn bei Schumann „dunkles Sehnen“ in die Verzweiflung treibt, geht das an die Nieren.
Wie auf Knopfdruck hat Camillo Radicke dann die Glacéhandschuhe übergestülpt. Da hören zwei ganz genau aufeinander. Und grad so genießt dieser Dauerliedbegleiter eine äußerst seltene Freiheit: Bei Pape darf er schon mal deutlicher werden. Den deckt so schnell nix zu.
Christa Sigg