Deutschland im Grand-Prix-Trauma
Hamburg (dpa) - Soll TV-Moderator Stefan Raab zum Retter der deutschen Grand-Prix-Ehre werden? Bislang kommt Deutschland jedenfalls nicht aus dem Song-Contest-Trauma heraus.
Nach der Blamage von Belgrad mit dem letzten Platz der No Angels sorgt nun die Peinlichkeit von Moskau für Ratlosigkeit in den Reihen der Fans. Der 20. Platz im 25-Nationen-Finale beim Eurovision Song Contest (ESC) war mit deutlichem Abstand weniger, als das Duo Alex Swings Oscar Sings sich erhofft hatte - aber in etwa das, was Beobachter befürchtet hatten. «Die sollen Leute nehmen, die sich auskennen», fordert Grand-Prix-Veteran Ralph Siegel. Möglicherweise holt die ARD nun Stefan Raab, erfolgreicher Ausrichter des «Bundesvision Song Contest», mit ins Boot.
Kaum waren die deutschen Vertreter in der russischen Hauptstadt gescheitert, begann erneut die Diskussion um Raab, im Jahr 2000 mit seinem Spaß-Titel «Wadde hadde dudde da» immerhin selbst Fünfter im Finale. Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete, dass eine Kooperation von ARD und Raabs Haussender ProSieben im Gespräch sei, die Idee dazu stamme von ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber. Bestätigt wurden diese Pläne von der ARD, deren Programmdirektoren am Montag in Köln tagten, zunächst nicht. «Wir geben heute keinen Kommentar. Morgen werden wir in einer Pressekonferenz mitteilen, wie es weitergeht», sagte Iris Bents, Pressesprecherin beim NDR in Hamburg. Vielleicht ist dann ja schon Raab mit dabei, dessen Show in Köln beheimatet ist.
Wie groß waren die Hoffnungen, als der NDR nach dem Debakel im Vorjahr verkündete, diesmal selbst einen Kandidaten nominieren zu wollen. War doch immer wieder kritisiert worden, dass erfolgreiche Musiker sich einem Vorentscheid aus Angst vor einem Imageverlust nicht stellen wollten. Die Grand-Prix-Verantwortlichen konnten ihnen in den vergangenen Jahren das Ticket zum ESC-Finale nicht garantieren, denn letztlich entschied das ARD-Publikum darüber. Doch der Absturz der deutschen Pop-Engel und die Angst vor dem Zusammenhalt osteuropäischer Länder bei der Punktevergabe hielt die ganz Großen der hiesigen Musikszene dann wohl doch ab: Produzent Alex Christensen, bekannt für Lieder wie «Du hast den schönsten Arsch der Welt», und Musicalsänger Oscar Loya, gänzlich unbekannt, wurden von der NDR-Jury ausgesucht.
Auf ihrer ersten Pressekonferenz träumte die neue Grand-Prix-Hoffnung noch vom Sieg, später dann zumindest von einem Platz in den Top Ten. Qualifizieren für das Finale mussten die beiden sich nicht, da Deutschland als einer der großen Geldgeber automatisch gesetzt ist. Vielleicht ahnte Christensen ja schon selbst, dass mit dem einfallslosen Lied «Miss Kiss Kiss Bang» nicht Europa erobert werden kann, und so heuerte er die US-amerikanische Burlesque-Tänzerin Dita von Teese an. Muss sich Deutschland wirklich auf der Eurovisions-Bühne ausziehen, um die begehrten zwölf Punkte zu holen? Dieter Bohlen, der ständig für Deutschland den Superstar sucht, grinste sich ins Fäustchen und sprach von einem «visuellen Offenbarungseid».
Ausgezogen - abgestraft: Der Mini-Auftritt der Striptease-Tänzerin, die sich letztlich doch nicht bis zum blanken Busen entblättern durfte, und der seelenlose Song floppten. Der Pop-Swing-Dance-Mix von Alex Swings Oscar Sings erntete Kopfschütteln. «Mir haben die schon fast leidgetan», sagte Siegel, der mit Nicole 1982 den einzigen Sieg für Deutschland holte. Man habe «wieder mal die USA imitiert». Siegel: «Da lachen sich die Leute tot. Das ist infantil.»
Auch nach Ansicht von Udo Dahmen, Künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg, spielt die Glaubwürdigkeit eine große Rolle. «Was glaubwürdig ist, wird eine Chance haben», sagte er. «Das könnte ein Hip-Hop-Act genauso sein wie ein Mainstream Pop-Song.» Es gehe immer um Gefühl und das Wecken von Emotionen. «Das ist das, was ein Publikum honoriert. Die Dinge, die einen hohen Glamourfaktor und Kalkül haben, werden derzeit nicht honoriert.» Der norwegische ESC-Sieger Alexander Rybak habe seinen Song selbst geschrieben und dazu selbst Geige gespielt - «das lebt aus dieser Bescheidenheit.»
Ähnlich sieht es Sängerin Katja Ebstein, die bei dem Wettbewerb selbst dreimal auf dem Treppchen stand («Wunder gibt es immer wieder»): «Der Alexander war nicht so fabrikmäßig. Der ist nicht so glatt gewesen. Das spricht einen an, wenn es so menschlich rüber kommt.» Siegels Rezept lautet: «A was Originelles, B was in die Seele und in die Beine geht.» Was Originelles und Erfolgreiches hatte bislang immer Raab zu bieten, auf dessen «Bundesvision Song Contest» die ARD angesichts der Teilnehmer bislang nur neidvoll schauen konnte. In diesem Jahr gewann dort Peter Fox («Haus am See») - der hat auf jeden Fall schon viele Herzen hierzulande erobert und steht nach wie vor ganz oben in den Charts.