"Aufführung wurde geändert": Musical in München erhält mitten in Spielzeit Anpassung

Das Musical "Wüstenblume" im Deutschen Theater erzählt die Geschichte von Waris Dirie. Jetzt hat Komponist Uwe Fahrenkrog-Petersen eine Anpassung vorgenommen.
von  Robert Braunmüller
Naomi Simmonds, eine Absolventin des Studiengangs Musical der Bayerischen Theaterakademie, als junge Waris Dirie im Musical "Wüstenblume".
Naomi Simmonds, eine Absolventin des Studiengangs Musical der Bayerischen Theaterakademie, als junge Waris Dirie im Musical "Wüstenblume". © Annette Hempfling

Kurz vor der Pause kommt der Abend zu seinem schwierigsten Punkt. Zwei junge Frauen singen davon, wie es sich anfühlt, zur Frau zu werden. Für die eine ist es das Kribbeln sexueller Erregung, für die andere ein Moment von unglaublichem Schmerz. Die Melodie ist die gleiche, die geschilderte Erfahrung könnte gegensätzlicher nicht sein.

Das Musical "Wüstenblume" von Uwe Fahrenkrog-Petersen (Musik) und Gil Mehmert (Buch und Regie) erzählt die Geschichte von Waris Dirie. Die Tochter somalischer Nomaden floh vor einer Zwangsheirat in die große weite Welt hinaus und stieg zum Top-Model auf. Als Aktivistin kämpft sie seit Jahren gegen das Zwangsritual der weiblichen Genitalverstümmelung im nördlichen Afrika, dessen Opfer sie selbst wurde. Am Ende des Musicals spricht sie zu diesem Thema in der UNO - und zwar so eindringlich, dass der Zuschauer im Deutschen Theater die Zahl der 8000 täglichen Opfer nicht so schnell vergessen wird.

Das mag in der Nacherzählung didaktisch und auch ein wenig anstrengend erscheinen. Aber das wäre der falsche Eindruck. "Wüstenblume" erfüllt alle Wünsche an die Gattung Musical und ist trotzdem ein ganz besonderer Abend, der seine humane Botschaft perfekt in die Formen musikalischen Unterhaltungstheaters verpackt.

Vom Dienstmädchen zum zufällig von einem Fotografen entdeckten Supermodel

Der Abend ist bewegend, aber keine Sekunde lang kitschig. Der entscheidende Punkt dabei sind die Abwechslung und das zackige Tempo von Buch und Inszenierung. Auch wenn das weibliche Empowerment eines Aschenputtels zum Supermodel etwas holzschnittartig und ohne Rückschläge verläuft: Das Tempo des Aufstiegs vom unbezahlten Dienstmädchen zum zufällig von einem Fotografen entdeckten Supermodel verläuft Schlag auf Schlag - mit dem Vorzug, dass keine Sekunde des zweieinhalbstündigen Abends langweilig ist.

Das Leben in der somalischen Botschaft mag bis zum Klischee überzeichnet sein, aber die unterschiedlichen Frühstücksallüren sind trotzdem erheiternd. Auch die Meryl-Streep-Parodie der Model-Agentin hat viel Witz. Und der sturzbesoffen-zauselige Ire (Jogi Kaiser), mit dem Waris Dirie eine Scheinehe eingeht, nimmt beim zweiten Auftritt mit einer anrührenden Ballade die Vertreter der Einbürgerungsbehörde und das Publikum für sich ein.

Das Musical "Wüstenblume" im Deutschen Theater.
Das Musical "Wüstenblume" im Deutschen Theater. © Annette Hempfling

 Naomi Simmonds stellt die 16-jährige Waries Dirie vielleicht noch eine Spur federleichter dar als Kerry Jean 

Zum Tempo tragen die flotten Choreografien von Jonathan Huor ebenso bei wie die sparsame und zugleich extrem effiziente Ausstattung, die geschwinde Ortswechsel ermöglicht. Alle Räume sind mit ein paar typischen Elementen treffend charakterisiert (Augustin Barrecca, Claudio Pohle).

Die Titelpartie ist zweigeteilt: Naomi Simmonds stellt die 16-jährige Waries Dirie vielleicht noch eine Spur federleichter dar als Kerry Jean das erwachsene Model. Beide singen die rockige, von einer vierköpfigen Band live begleitete Musik ausdrucksstark und trotzdem ungewöhnlich textverständlich. Und auch sonst bleiben in dem großen Ensemble keine Wünsche offen.

Musik wie Inszenierung umgehen in den somalischen Szenen den Afrika-Kitsch weitgehend, auch wenn die Musik bisweilen auf pseudo-exotisches Getrommel nicht verzichten mag. Befremdlich mutet das inflationäre Z-Wort an. Es mag in historischen Texten vielleicht noch vertretbar sein, kaum mehr aber in einem aktuellen. Seltsam ist auch, dass mit diesem Wort und der damit offenbar unvermeidlich verbundenen "Hexe" der durchaus einheimische Brauch der Verstümmelung Fremden in die Schuhe geschoben werden soll.

Das Musical "Wüstenblume" im Deutschen Theater.
Das Musical "Wüstenblume" im Deutschen Theater. © Annette Hempfling

Komponist ändert Aufführung in Spielzeit: "Uns lag es immer fern"

Aber Schwamm drüber. Diese 2020 in St. Gallen uraufgeführte Produktion wird nach zwei Wochen im Deutschen Theater auf Europa-Tournee gehen. Sie bringt so zwei einander nicht immer freundlich gesonnene Welten zusammen: den hohen künstlerischen Standard der deutschsprachigen Stadttheater-Kultur und den oft etwas flachen Betrieb der Musical-Gastspiele. Von der Wechselwirkung können beide Seiten profitieren - durch Professionalisierung und mehr Risikofreude bei den Themen. Die weiteren Ziele der Tournee können sich auf dieses Ereignis freuen.

Waris Dirie (li) mit der Musical-Darstellerin Kerry Jean, die Dirie spielt, bei der Pressekonferenz im Deutschen Theater.
Waris Dirie (li) mit der Musical-Darstellerin Kerry Jean, die Dirie spielt, bei der Pressekonferenz im Deutschen Theater. © picture alliance/dpa

Update: Das Produktionsteam hat uns per Mail mitgeteilt, auf das Z-Wort künftig verzichten zu wollen. "Diesbezügliche Textpassagen in der Aufführung wurden geändert", so der Komponist Uwe Fahrenkrog-Petersen. "Uns lag es immer fern, die Gefühle einer Minderheit zu verletzen. Dass wir uns für die Rechte von Minderheiten, Unterdrückten und Unterrepräsentierten einsetzt, beweist unser Projekt."

Deutsches Theater, Schwanthaler Str. 13, noch bis 15. Oktober. Karten online und unter Telefon 55 534 444

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