Der Zustand des Zweifelns
Der Münchner Autor Thomas Lang schreibt in seinem neuen Roman „Bodenlos“ über einen Jugendlichen auf der Schwelle zum Erwachsenen
Im Vorspann steht der Ausspruch eines unbekannten Poeten, der fordert: „Lest es 2x, verdammt!“ So unbekannt ist dieser Poet allerdings nicht: Thomas Mann verlangte gleiches von den Käufern des „Zauberberg“. Man kann sich denken, warum Thomas Lang einen anonymen Poeten vorschickte: Er will er in seinem Roman „Bodenlos oder Ein gelbes Mädchen geht rückwärts“ nicht mit dem Großmeister konkurrieren.
Eine Gemeinsamkeit gibt es dennoch: Wie im „Zauberberg“ experimentiert Lang mit dem Phänomen der Zeit. Er schickt seine Leser gleich am Anfang auf eine Reise, die mit dem Ende beginnt. Lang erzählt den ersten Teil rückwärts – sträwkcür, wie Protagonist Jan Bodenlos in seinen Gedichten schreiben würde. Etwas überambitioniert wirkt diese Erzähltechnik – wie auch die beim Lesen teilweise anstrengenden Rückwärts-Gedichte und medientheoretischen Exkursionen. Sie beschreiben allerdings sehr treffend Jans Zustand.
Der 17-jährige glaubt sich am Rande eines Schwarzen Lochs zu befinden, wo die Zeit still steht. Er verbringt sein Leben in einer Art Vakuum - gefangen zwischen Kindheit und Erwachsensein. Zwischen Schuleschwänzen und Anti-Atomwaffendemos, Partys und selbst geschrieben Gedichten. Jan liest Hesse, Kafka, Camus. „Der Zustand des Zweifelns erschien ihm der einzig mögliche, ehrliche im Leben.“
Wenige Tage vor den Sommerferien 1983, ein Jahr vor dem Abitur, beginnt die unaufhaltsame Entwicklung. Jan steht auf dem Zehn-Meter-Brett im städtischen Freibad und blickt auf die bunten die winzigen Menschen herab, die sich für die Mitte ihrer Welt halten. „Für einen Augenblick schien es ihm unmöglich zu springen.“ Jan fürchtet den Absprung, den Übertritt in eine neue Welt, er lebt wie in einer Blase. „Ruhig. Klein. Gut. Geborgen in einem Tropfen mit unzerreißbarer Haut." Seine Begleiter in dieser Übergangsphase sind Menschen, geprägt von Verlusten: Seine Mutter, die eine Brust durch Krebs verloren hat. Der Vater, ein Architekt, der seine Ideale für eine Festanstellung aufgegeben hat. Sein bester Freund Torsten, dessen ältere Brüder sich umgebracht haben. Und Kiku, Jans Mitschülerin, in die er verliebt ist, die eine Abtreibung hinter sich hat.
Schließlich wird auch Jan von einem Verlust erschüttert – und plötzlich ist er erwachsen und hat es gar nicht gemerkt. Am Ende bleibt Ernüchterung – auch für den Leser. Lang demontiert mit einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung des eigenen Textes die noch übriggebliebenen Illusionen.
Nadja Mayer
„Bodenlos“ (Beck, 461 S., 21,95 Euro) Thomas Lang liest heute um 20 Uhr im Literaturhaus