Der Wolpertinger

Kammerspiele: Bernd Moss spielt in Schorsch Kameruns Projekt „Down Understanding“. Moss ist ein Lebenskünstler, Improvisation sein Metier. Und worum geht es im Stück? „Wenn ich ehrlich bin: Ich könnte das nicht in Worte fassen."
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Kammerspiele: Bernd Moss spielt in Schorsch Kameruns Projekt „Down Understanding“. Moss ist ein Lebenskünstler, Improvisation sein Metier. Und worum geht es im Stück? „Wenn ich ehrlich bin: Ich könnte das nicht in Worte fassen."

Er war am Boden. Bernd Moss war mal ganz unten. Für sein erstes Engagement zog er von Berlin nach Coburg, fünf Jahre als Barkeeper und „Zimmermädchen“ lagen hinter ihm, und weil alles weg war, die Freunde und die Liebe des Lebens, legte er sich auf dem Weg zur Probe auf den Bürgersteig. „Ganz dramatisch“, erinnert sich Moss heute. „Aber ich sah Wanderlatschen vorbeigehen und mir wurde klar, die halten mich für einen Spinner. Dann stand ich auf und dachte, jo, Probe fängt in fünf Minuten an. Und das Tal war durchschritten.“

So einfach geht das also bei dem Mann aus dem westfälischen Schwelm, der seit zwei Jahren im Ensemble der Münchner Kammerspiele ist und jetzt in Schorsch Kameruns Projekt „Down Understanding“ spielt (Premiere heute um 20 Uhr im Neuen Haus): „Ich bin eine Art Wolpertinger“, meint Moss über seine Rolle. „Wobei ich als Westfale erst mal lernen musste, was ein Wolpertinger überhaupt ist. Behauptet wird, dass ich ein Grieche bin, der nach Australien eingebürgert werden will – und erst mal im Hofbräuhaus landet.“

Man kann es nicht in Worte fassen

Und worum geht es noch? „Wenn ich ehrlich bin: Ich könnte das nicht in Worte fassen. Schorsch hat am Anfang von dem Künstler Aernout Mik erzählt. Der filmt Leute in starken Settings, das sieht zum Beispiel wie nach einem Börsencrash aus: Papiere auf dem Boden, Leute mit Krawatten, die einfach nur sitzen und starren. Diese Art von Zuständen hat uns interessiert.“ Über das Thema Sicherheit sei viel gesprochen worden; die Protokolle, die nach der Überwachungs-Affäre der Discount-Kette Lidl publik wurden, habe man eingebaut. Mit der Unsicherheit eines Projekts hat Moss kein Problem: „Ich mag dieses nicht psychologische Theater sehr.“

„jobben, feiern, schlafen“

Moss ist ein Lebenskünstler, Improvisation sein Metier: Die Schauspielschule in Ulm brach er ab, ging nach Berlin und holte nach fünf Jahren „jobben, feiern, schlafen“ die Schauspielprüfung nach. Dann kam die Tristesse in Coburg, Engagements in Bruchsal und Esslingen folgten. Bis sich eine einstige Studienkollegin, Ingrid Lausund, an ihn erinnerte und ihn aufmunterte, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo sie derzeit Hausregisseurin war, vorzusprechen: „Es war die Stromberg-Ära. Ich spielte Hitler aus Taboris ,Mein Kampf’, den ,Menschenfeind’ und Malvolio aus ,Was ihr wollt’. Das war echt schlecht, Tom Stromberg hat geschrien: ‚Das haben Sie auch in den Achtzigern gemacht, oder?!’ Als die aber meinten: Jetzt machen Sie mal Hitler als Malvolio – da wurd’s gut.“ Moss wurde genommen, spielte in Hamburg oft in Projekten von René Pollesch und lernte Schorsch Kamerun kennen: „Er machte ein Projekt, bei dem Jenny Elvers-Elberzhagen gegen König Boris von Fettes Brot boxte. Damit hat er mich gekriegt.“ Die Zeit in Hamburg war nicht leicht, der Intendant unbeliebt. Als Stromberg ging, spielte Moss ein Jahr unter Friedrich Schirmer. Dabei hat ihn auch Frank Baumbauer, Strombergs Vorgänger in Hamburg, öfters gesehen – und holte ihn nach München.

Jetzt also der Grieche mit Fernweh

Ins Gedächtnis hat Moss sich hier bereits gegraben, mit Stefan Merki als knallkomischer Gilbert-und George-Verschnitt in Stefan Puchers „Sturm“-Inszenierung oder als Traumtänzer in der Bühnenadaption von Orhan Pamuks „Schnee“. Jetzt also der Grieche mit Fernweh, gestrandet im Hofbräuhaus. Auch Privates sei da eingearbeitet, erzählt Moss, seine Zeit als Parkwächter bei Möbel Massa in Ulm zum Beispiel. Der gewonnene Erfahrungsschatz erscheint heute als guter Boden für das Spiel. Alles perfekt, oder? „Naja, manchmal steht man schon auf der Bühne und denkt: Braucht’s das jetzt? Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Wobei es hier auch am Anfang Möglichkeiten gab, sich mal wieder auf den Bürgersteig zu legen.“

Dabei ist man sich sicher, dass Moss’ Weg eher nach oben geht. Ähnlich wie bei diesem vermeintlichen Hasen, der Hörner hat, zum Durchsetzen. Und Flügel, zum Abheben. Ein Wolpertinger eben.

Michael Stadler

Premiere ausverkauft, 11. und 15.6., 20 Uhr, Tel. 233 966 00

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