Der Witz der Schwarzen Serie

Martin Scorsese gab die Fackel weiter und er brachte zwei in den Club der großen Regisseure, die wie er sich mit den gewaltvollen Auswüchsen der amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzen, ihre Helden jedoch fern der Stadt in die Groteske stürzen lassen. Dass das Brüderpaar Joel (53) und Ethan (50) mit diesen Außenseitern einiges gemein haben.
von  Abendzeitung

Martin Scorsese gab die Fackel weiter und er brachte zwei in den Club der großen Regisseure, die wie er sich mit den gewaltvollen Auswüchsen der amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzen, ihre Helden jedoch fern der Stadt in die Groteske stürzen lassen. Dass das Brüderpaar Joel (53) und Ethan (50) mit diesen Außenseitern einiges gemein haben.

Ethan beließ es stets bei einem ungelenken „Danke“, zupfte an seinem Ohr und überließ seinem nicht minder show-unerprobten Bruder das Reden. Endlich: Zwei Film-Nerds erobern Hollywood. Vier Oscars räumte ihr harter Abgesang auf den amerikanischen Westen „No Country for Old Men“ (Kinostart übermorgen) ab – allen voran in den Königsdisziplinen Bester Film und Beste Regie. „Ethan und ich haben seit Kindertagen Geschichten mit Filmkameras gemacht. Und wir sind euch allen da draußen sehr dankbar, dass ihr uns in unserer Ecke der Sandkiste weiterspielen lasst“, sagte Joel und traf mit dem spielerischen Eck in der überkommerziellen US-Filmwirtschaft einen Kern ihrer Arbeit. Die hat nämlich mit der Hollywood-Maschinerie wenig zu tun, sieht man ab vom Clooney- Zeta-Jones- Film „Ein unmöglicher Härtefall“ (2003) oder dem „Ladykillers“- Remake (2004), die aber nicht zu den großen Coen-Filmen gehören wie der eisige Krimi „Fargo“ (1996, Oscar für’s Beste Drehbuch) oder die Underdog-Komödie „The Big Lebowski“ (1998).

Für Hollywood sind die Filme der jüdischstämmigen Brüder aus Minnesota letztlich zu intellektuell und exzentrisch, wie auch der schizophrenie- Thriller über einen Drehbuchautor „Barton Fink“ mit John Turturro und Steve Buscemi, zwei der Lieblingsschauspieler der Coens, die sich in Interviews einen Spaß daraus machen, die Sätze des jeweils anderen weiterzuspinnen. Überhaupt ist die Arbeit der beiden so verwoben, dass es müßig ist, zu unterscheiden, wer bei welchem gemeinsamen Projekt Drehbuch, Regie oder Schnitt gemacht hat. Ethan und Joel sind Blutsbrüder auch im Geiste. Die Coens haben eine moderne „Schwarzen Serie“ geschaffen, die nicht in Großstädten spielt, sondern in der Provinz, wo man noch am ehesten die aufrichtigen amerikanischen Werte vermutet.

Pessimistische Version von Murphys Law

Aber genau hier siedeln die Coens die Geschichten zunehmender moralischer Verwahrlosung an. So sind Coen- Filme Operationen ohne Narkose am offenen Herzen der USA, ausgeführt von zwei Seelenklempnern mit schwarzem Humor. Dabei gilt in ihren Filmen eine besonders pessimistische Version von Murphys Law, nämlich die Annahme, dass von allen denkbar schlechten Möglichkeiten grundsätzlich die schlechteste eintritt. Am Anfang steht meist eine harmlosere Gesetzesübertretung, deren Folgen dann aber völlig eskalieren und unkontrolliert werden. Im westernhaften Killer- Drama „No Country for Old Men“ sind am Ende fast alle tot. Und der alte Sheriff (Tommy Lee Jones) gibt resigniert auf: Auch im Verbrechen gab es früher Grenzen und Regeln. Aber in Zeiten von Drogenmafia und Geldwäsche herrscht Krieg. Sinnbild hierfür ist der Killer, gespielt von Javier Bardém, der dafür den Nebendarsteller-Oscar bekam: Eine gespenstische Figur, die moralisch nicht mehr ansprechbar ist.

Dass die Coens gerade jetzt abräumen, ist kein Zufall: Wirtschafts- und Immobilienkrise, ein traumatischer Krieg, der auf Lügen basiert, ein kaputtes Bildungs- und Gesundheitswesen: Amerika ist in einer pessimistischen Grundstimmung, und vielleicht soll’s Obama richten. Und an den Coen-Brüdern kann man sehen: Kritiker sind die eigentlichen Patrioten. Denn wer kritisiert, dem liegt sein Land am Herzen. Adrian Prechtel

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