Der wissende Sänger

Der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, ein Meister des Kunstlieds und der Oper, starb 86-jährig in Berg am Starnberger See
von  Robert Braunmüller

Es war zu Ostern 1989. Das Nationaltheater wurde renoviert, der traditionelle „Parsifal” wurde konzertant in den Herkulessaal verlegt. Daniel Barenboim dirigierte, die junge Waltraud Meier war eine faszinierende Kundry. Noch beeindruckender aber war Dietrich Fischer-Dieskaus schmerzensvoller Amfortas, – gesungen mit den exakt gleichen Farben und Nuancen wie in der Gesamtaufnahme unter Georg Solti 17 Jahre zuvor.

Hochseriös, verlässlich, ein Meister der musikalischen Textausdeutung. Er lebte in seiner Geburtsstadt Berlin und in seinem Haus in Berg am Starnberger See, wo er am Freitagmorgen kurz vor seinem 87. Geburtstag verstarb, wie seine Ehefrau, die Sängerin Julia Varady, mitteilte.

Fischer-Dieskau war ein Sänger ohne Skandale, der kunstpriesterliche Distanz zum Glamour hielt. Die bisweilen manierierte Bewusstheit seiner Interpretationen war gewollt: „Wer den Intellekt gesangsfeindlich schilt”, so der Künstler, „verachtet Denken ebenso wie sicher geleitetes Tun, das über den Durchschnitt hinaus will.” Selbst als Rigoletto, Wotan oder Hans Sachs, für die sein lyrischer Bariton nicht geschaffen war, überzeugte er durch Diktion und psychologische Durchdringung.

Fischer-Dieskau verhalf dem Kunstlied zu einer bis dahin unbekannten Popularität. Schon der erste Auftritt galt 1943 im Rathaus des Berliner Stadtteils Zehlendorf der „Winterreise”. Fünf Jahre später spielte sie zum ersten Mal auf Platte ein. Acht weitere Aufnahmen folgten. Der Sänger hat diesem Zyklus und der „Schönen Müllerin” die vormalige Schubert-Gemütlichkeit ausgetrieben. Die durch die Welt irrenden Melancholiker dieser Lieder machte er zu gegenwärtigen Zeitgenossen eines Zeitalters der Angst.

Seit 1952 war Fischer-Dieskau der Münchner Oper eng verbunden. „Die Bayerische Staatsoper trauert um einen ihrer wichtigsten Künstler überhaupt”, so Intendant Nikolaus Bachler. In fünf Jahrzehnten sang er rund 20 Rollen. Herausragend war sein Mandryka an der Seite von Lisa della Casa in der Strauss-Oper „Arabella”: Eine Fernsehaufzeichnung überliefert dieses kunstvolle Porträt eines kindlich-naiven Naturburschen.

Anlässlich der Wiedereröffnung des Nationaltheaters sang er 1963 den Barak in der „Frau ohne Schatten”. 1979 war er der erste Lear in Aribert Reimanns modernem Welterfolg. Er gastierte aber auch als Verdis Falstaff oder Michele in Puccinis „Mantel” – in dieser Produktion des Regisseurs Günter Rennert verliebte er sich in Julia Varady.

1992 gab er seinen Abschiedsliederabend im Nationaltheater. Zu Silvester desselben Jahres beendete er hier seine beispiellose, fast ein halbes Jahrhundert währende Gesangskarriere mit einem Konzert unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch.

Im Unruhestand war er noch öfter als Rezitator zu erleben, so noch 2007 in Bernd Alois Zimmermanns „Ich wandte mich um und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne” unter Kent Nagano im Nationaltheater. Er schrieb Bücher über Johann Wolfgang von Goethe als Theaterdirektor oder seine Erfahrungen mit Wilhelm Furtwängler. Selbst zum Klassiker geworden, durfte er es sich erlauben, resignative Altherren-Attacken wider den Zeitgeist, das Regietheater und die allgemeine Mittelmässigkeit zu reiten. Er konnte sich das leisten: Fischer-Dieskau war einer der Allergrößten unter den Sängern.

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