Der war politisch unkorrekt!

Goethe im Gasteig! An sieben Abenden wird die Modernität des Klassikers diskutiert. Am Donnerstag ist Rüdiger Safranski zum Diktum da: „Die Deutschen – vorzüglich im Einzelnen, miserabel im Ganzen“
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Johann Wolfgang von Goethe im Gasteig! An sieben Abenden wird die Modernität des Klassikers diskutiert. Am Donnerstag ist Rüdiger Safranski zum Diktum da: „Die Deutschen – vorzüglich im Einzelnen, miserabel im Ganzen“

Wie zeigtgemäß ist Johann Wolfgang von Goethe? Bis März wollen einige Herren – und sogar die Links-Politikerin Sarah Wagenknecht – dieses Thema klären, wie der Lyriker Durs Grünbein, Akademie-Präsident Dieter Borchmeyer, der Schriftsteller Martin Mosebach, der Publizist Matthias Matussek sowie der Philosoph und Kollege von Rüdiger Safranski im „Philosophischen Quartett“, Peter Sloterdijk. Am Donnerstag ist aber erst einmal Rüdiger Safranski selbst dran.

AZ: Herr Safranski, Sarrazin liest gerade in München aus seinem Buch. Was würde Johann Wolfgang von Goethe zu der Debatte sagen?

RÜDIGER SAFRANSKI: Wenn jemand die Kultur verteidigt, hätte das Johann Wolfgang von Goethe erst einmal gut gefunden. Aber Johann Wolfgang von Goethe war jeder Hysterie abhold. Deswegen hätte er die Hysterien Sarrazins klar abgelehnt. Und hätte gesagt: „Ruhig bleiben, Leute!“

Von Johann Wolfgang von Goethe gibt es ja zu allen Lebensfragen Sentenzen. Da sind sicher auch viele Widersprüche zu finden?

Nein, denn Johann Wolfgang von Goethe Gedankenwelt ist biegsam und elegant. Zum Beispiel meint Johann Wolfgang von Goethe, dass der Mensch nur gut überlebt, wenn er eine Grenze um sich zieht und darauf achtet, nur soviel aufzunehmen, wie er verarbeiten kann. Wenn man an unsere Globalisierungstendenzen denkt, ist das sehr beachtenswert. Man findet aber in seinen Maximen genauso den Gedanken, dass es für ein gelungenes Leben darauf ankommt, sich zur Welt zu öffnen, sie in sich aufzunehmen. Und wenn man über diese beiden – scheinbar gegensätzlichen Ideen – nachdenkt, merkt man, dass es genau um die Balance geht.

Die Deutschen kommen bei Johann Wolfgang von Goethe als Volk nicht gut weg: „Vorzüglich im Einzelnen, miserabel im Ganzen“.

Er war eben kein Freund des hochbrandenden Nationalismus’. Dazu war er zu sehr Individualist. Auch das führt ihn heute wieder sehr nahe an unseren Zeitgeist.

„Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“, wäre ihm nie über die Lippen gekommen?

Nein, da hätte Johann Wolfgang von Goethe gefragt: Worin besteht denn da die Leistung? Stolz sollte man nur auf das sein, was man geleistet hat. Kollektive Bewegungen waren Johann Wolfgang von Goethe verhasst, auch wenn er Freundschaftsbünde und intellektuelle Zirkel sehr mochte. Deshalb auch der Satz über die Deutschen: „Vorzüglich im Einzelnen!“

Wie hätte Johann Wolfgang von Goethe die Wiedervereinigung gesehen?

Wenn sich alle, vor allem der Pöbel, erregten, blieb er klar. So hat er auch die Befreiungskriege fast ignoriert und ging derweil als Gegenkonzept seiner Steinsammlung nach. Er war ein Nonkonformist, der sich auch um „Political Correctness“ nicht geschert hat. Er blieb auch Bonapartist, weil er Napoleon zu Gute hielt, die Französische Revolution gebändigt und die Errungenschaften nach Europa gebracht zu haben.

War Johann Wolfgang von Goethe eine im heutigen Sinne „coole“ Person?

Nein, er war eine gesammelte Person. Gleichzeitig war er leidenschaftlich, wollte dabei aber immer die Kontrolle über sich behalten. Und das, was man als Kühle bezeichnen könnte, war in späteren Jahren ein Schutz vor der allzu aufdringlichen Öffentlichkeit, weil er eben schon zu Lebzeiten ein Mythos war – als Person!

Johann Wolfgang von Goethe wird noch heute in Talkshows behandelt und in Quiz-Shows abgefragt.

Ja, er ist – erstaunlicher- und fantastischerweise – immer noch eine Zentralfigur.

Warum?

Man spürt nicht nur, dass er sein Leben zu einem Werk gemacht hat. Er strahlt aus, was ein gelungenes, volles Leben sein könnte.

Geht zunehmend das Sprachverständnis verloren, so dass bald Goethe-Texte für folgende Generationen unverständlich werden?

Sprache wandelt sich immer, auch da sollte man nicht hysterisch sein. Aber schön für den eigenen Sprachreichtum ist es natürlich, wenn man den reichen Wortschatz eines großen Zeitraums zur Verfügung hat. Wenn Gretchen im „Faust“ ein „Leibchen“ anhat, ist es bereichernd, wenn man sich unter dem Kostümteil was vorstellen kann. Und Johann Wolfgang von Goethe ist eben so unwahrscheinlich reich und vergnüglich, weil er seine Weisheit im kunstvollen sprachlichen Futteral präsentiert.

Adrian Prechtel

Donnerstag, 30. September, 20 Uhr, Black Box, Gasteig, 15/10 Euro, Tel. 54818181 oder Abendkasse (am 14.10.: Durs Grünbein)

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