Der Vorkämpfer

Regisseur Gus Van Sant erzählt in seinem Film „Milk“ von dem charismatischen Bürgerrechtler Harvey Milk, der für seinen Mut sterben musste
von  Abendzeitung

Regisseur Gus Van Sant erzählt in seinem Film „Milk“ von dem charismatischen Bürgerrechtler Harvey Milk, der für seinen Mut sterben musste

Mit acht Oscar-Nominierungen gilt das Biopic „Milk“ über den ersten amerikanischen schwulen Stadtrat, einem mutigen Kämpfer gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, als heißer Anwärter auf den begehrten Goldjungen. Nicht nur Sean Penn, der den charismatischen Harvey Milk in den 1970er Jahren spielt, als schwule Liebe noch als krank und widernatürlich verteufelt wurde, kann sich Hoffnungen machen, auch Drehbuchautor Dustin Lance Black und Regisseur Gus Van Sant, der das berührende Porträt eines außergewöhnlichen Politikers zeichnet.

AZ: Mr. van Sant, Harvey Milk war eine charismatische Persönlichkeit, ein Mann mit Visionen. Gibt es heute noch solche Politiker?

GUS VAN SANT: Nur sehr wenige. Harvey ging in die Politik, um etwas zu bewirken, zu verändern, er hatte Engagement und Humor. Das erinnert an Obama, allerdings haben wir nicht an ihn gedacht als wir den Film planten.

Die Geschichte spielt in Castro, dem einstigen Arbeiter- und legendären Schwulenviertel San Franciscos. Wie haben Sie die damalige Aufbruchstimmung erlebt?

Ich lebte in Los Angeles und hatte nichts mit der Schwulenbewegung und -szene zu tun. Erst nach dem Mord an Harvey 1978 wurde ich auf ihn aufmerksam. Als ich dann nach Castro kam, hatte sich die Atmosphäre durch die Aids-Krise ziemlich verändert. Ich möchte dafür sorgen, dass Harvey nicht vergessen wird. Er hat sich ja nicht nur für die Rechte von Schwulen eingesetzt, sondern sich auch um die Sorgen der kleinen Leute in Castro gekümmert. Als Stadtrat stand für ihn nicht die sexuelle Identität im Vordergrund, sondern die Politik.

Auf welches Material stützen Sie sich?

Auf Rob Epsteins oscar-prämierten Dokumentarfilm „The Times of Harvey Milk“ und eigene Recherchen, Gespräche mit Zeitzeugen, politischen Weggefährten und persönlichen Freunden.

Was ist der große Unterschied zwischen den 1970er Jahren und der Gegenwart?

Was Harvey tat, funktionierte, es herrschte Aufbruchstimmung. Die ist bei der Schwulen-Community heute weg. Nach der Wiederwahl von Bush waren wir wie im Schockzustand. Wir haben nicht genug gegen die Proposition 8 gekämpft, ein Gesetz, das in Kalifornien die gleichgeschlechtliche Ehe verbietet. Harvey rief damals zum Widerstand gegen die Proposition 6 auf, die schwulen Lehrern in Kalifornien den Unterricht verbot. Natürlich hat sich die Situation gebessert, damals durften Schwule nicht mal Hand in Hand gehen oder in einer Bar tanzen. Junge Schwule profitieren jetzt von den durch Harvey erkämpften Freiheiten, aber wir müssen langsam mal wieder unsere Hausaufgaben machen.

Und die wären?

Die Bürgerrechte müssen für alle gleich gelten, egal ob in Kalifornien oder Texas. Auch in den Medien muss eine faire Berichterstattung her. Die schwule Kultur wurde in einigen TV-Stationen immer schon heruntergebügelt. Ich erinnere mich noch an den Marsch auf Washington 1994. Menschenmassen demonstrierten auf den Straßen. Als ich nachmittags in mein Hotel kam, zeigten die ABC-News Bilder von Washington am Tag zuvor ohne Demonstranten und behaupteten, die ganze Aktion sei eine große Enttäuschung.

Was sagen die Aktivisten der 1970er Jahre zur aktuellen Situation?

Die finden es verrückt, dass wir heute dafür kämpfen, in den Militärdienst zu gehen und heiraten zu können. Das wollten die nie.

In Ihrem Film spielen heterosexuelle Schauspieler. Gibt es nicht genug homosexuelle oder grassiert die Furcht vor einem Outing?

Es gibt sehr viele homosexuelle Schauspieler, aber die wollen ihre Karriere nicht gefährden. Wenn sie noch unbekannt in Los Angeles herumhängen, bekennen sie sich zu ihrer Homosexualität, aber beim ersten Erfolg mimen sie den Heterosexuellen. Die Filmindustrie mauert in diesem Punkt schon seit Jahrzehnten. Früher sorgten die Studios dafür, dass schwule Schauspieler mit schönen Frauen ausgingen, um dem Image des Herzensbrechers zu genügen. Heute sorgt ein Heer von Agenten, Presseleuten und Managern dafür, dass die Öffentlichkeit nichts erfährt.

Margret Köhler

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