Der Untergang des Nazi-Traumschiffs

Es ist eines der heikelsten Kapitel des Zweiten Weltkriegs, der Untergang der "Wilhelm Gustloff". Der Münchner Filmemacher Joseph Vilsmaier hat das Drama verfilmt - und vorab der Kanzlerin gezeigt.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Es ist eines der heikelsten Kapitel des Zweiten Weltkriegs, der Untergang der "Wilhelm Gustloff". Der Münchner Filmemacher Joseph Vilsmaier hat das Drama verfilmt - und vorab der Kanzlerin gezeigt.

Wenn die Stars noch nicht da sind, muss auch Bundeskanzlerin Angela Merkel warten. Fast pünktlich ist sie gekommen ins Sony Center am Potsdamer Platz, Joseph Vilsmaier hat sie zum besten Platz im Kino geführt, und doch schaut Bundeskanzlerin Angela Merkel Minuten auf ein Standbild. Denn draußen haben Kai Wiesinger, Heiner Lauterbach und Michael Mendl noch zu tun – sie posieren für die Fotografen.

Natürlich stehen sie im Mittelpunkt, schließlich ist es die Vorpremiere „einer der aufwändigsten Produktionen der TV-Geschichte“, wie ZDF-Intendant Markus Schächter sagt. Vilsmaier und sein Freund Hans Schröder, günstigerweise „BMW-Statthalter“ in Berlin, haben ein „Sonderscreening“ für die Abgeordneten des Bundestages arrangiert. Die sollen nicht etwa privilegiert mit einem neuen Unterhaltungsstück bespaßt werden, das Normalos erst in sechs Wochen im TV sehen können. Vilsmaier, das ZDF, die Produktionsfirma Ufa wollen ganz nebenbei noch ein politisches Gütesiegel für „Die Gustloff“.

Sechs Mal mehr Tote als beim Titanic-Untergang

Denn ein Film über diesen Schiffsuntergang, bei dem sechs Mal mehr Menschen umkamen als auf der „Titanic“, kann nicht nur eine einzelne Katastrophe behandeln. Auch die politische Katastrophe der Nazi-Herrschaft und der Vertreibung müssen gebührend thematisiert werden. Ein Großaufgebot vorwiegend konservativer Politiker findet den Versuch gelungen: „Frau Merkel war zutiefst bewegt“, sagt ein bewegter Joseph Vilsmaier.

Vergnügungsdampfer wurde zum Flüchtlingsschiff

Er unternahm den ehrgeizigen Versuch, eines der heikelsten Kapitel des Zweiten Weltkriegs in ein Unterhaltungsformat zu fassen. Im Januar 1945 warten zehntausende Flüchtlinge in Gotenhafen (heute das polnische Gdynia) auf den Transport nach Westen. Die Rote Armee rückt mit Übermacht in Hitler-Deutschland vor. Die Hoffnung der Flüchtlinge ruht auf einem Vergnügungsdampfer der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“. Getauft auf den Namen des NS-Führers in der Schweiz, beherbergte die „Wilhelm Gustloff“ Ball- und Kinosaal, Pool und Promenade-Deck.

Als Wohnschiff für U-Boot-Fahrer liegt das Schiff in Gotenhafen. Am 12. Januar hatte die Offensive der Roten Armee in Ostpreußen begonnen. Mehr als zwei Millionen Menschen fliehen. Doch nach Westen geht’s nur über die Ostsee. Meist Frauen, Kinder und Alte stehen an den Piers von Pillau, Danzig oder Gotenhafen. Die Propaganda stuft das Nazi-Traumschiff „Gustloff“ als besonders sicher ein. Schätzungsweise 10.000 Menschen sind an Bord, als das Schiff am 30. Januar Richtung Kiel ausläuft. Zwei Tage später leben davon noch rund 1000.

Auf den Torpedos stand: "Für die Heimat, für Stalin"

Historiker streiten bis heute über die Hintergründe des Torpedo-Beschusses durch das U-Boot „S-13“: Ein Zeichen zum 12. Jahrestag von Hitlers Machtergreifung? Eine Warnung an die Flüchtlinge: Bleibt, wo ihr seid? Rache für die deutschen Gräuel in den Jahren zuvor? „Auf den Torpedos stand: 'Für die Heimat, für Stalin’“, erinnert sich der russische U-Boot-Fahrer Alexej Astachov.

Bald nach Kriegsende nehmen rechte Kreise die Gustloff als Vehikel, um die Deutschen vor allem als Kriegs-Opfer darzustellen. „Für mich war das kein reines Flüchtlingsschiff mehr“, sagt Joseph Vilsmaier zur AZ: „Es waren tausend U-Boot-Fahrer an Bord. Die waren auf dem Weg zum Fronteinsatz.“

"Sichtbar wie ein Weihnachtsbaum"

Rätselhaft bis heute, warum die zerstrittenen drei Kapitäne an Bord einen Weg durch das tiefe Wasser wählen, wo das Schiff für U-Boote erst angreifbar wird. Und warum setzt die „Gustloff“ in der Nacht für zwei Stunden Positonslichter? „Wir sind sichtbar wie ein Weihnachtsbaum“, ereifert sich Kapitän Hellmut Kehding (Kai Wiesinger) im Film.

Vor allem aus den Spannungen auf der Kommando-Brücke (außer Wiesinger streiten noch Michael Mendl und Karl Markovics) gewinnt der Film die Spannung. Verschwörungstheoretiker werden mit Detlev Buck als Saboteur bestens bedient. Das menschliche Drama verkörpern die Flüchtlingsfamilie Simoneit (mit Dana Vávrová als Mutter Lili) und die herzensgute Marinehelferin (Valerie Niehaus). Vielleicht ist es der Übermacht des Stoffes geschuldet, dass die Geschichte ein wenig holzschnittartig rüberkommt, spannend ist sie allemal – meint das Polit-Publikum.

Zu "schwer verdaulich" für den Empfang

„Schwer verdaulich“, findet eine beeindruckte Ilse Aigner von der CSU das Stück, Unionsfraktionschef Volker Kauder, der von Vilsmaier als Ideengeber für den Film gelobt wird, sieht eine „Mahnung, alles zu tun, dass sowas nicht wieder vorkommt“. Und Merkel-Vertraute Hildegard Müller ist „nicht mehr in der Stimmung, auf den Empfang zu kommen“. Das hat sie mit der Kanzlerin gemein („Die konnte nimmer“, sagt Vilsmaier.) Und so muss ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm auf den dicken Teppichen des „Grand Ballroom“ im Ritz Carlton mitverfolgen, wie die Betroffenheit dem Hunger weicht. Bei Häppchen und zu Klängen der Film-Musik hält Erika Steinbach Hof. Die Vertriebenen-Sprecherin ist „noch einmal froh, dass meine Mutter die Gustloff verpasst hat“, dass das „Thema wieder auf dem Tisch ist“.

Vilsmaiers Film hat „großes Interesse im Ausland geweckt“, sagt Markus Schächter zur AZ: „Deutsche Geschichte, gemacht von Deutschen, geht immer.“ Ob den Polen oder Russen die Produktion auch gefallen wird? „Ob das wieder jemand in den falschen Hals bekommt, kann ich nicht beurteilen“, sagt Frau Steinbach. Ein Restrisiko, von irgendjemanden vor den Karren gespannt zu werden, „kann man nicht ausschließen“, sagt Intendant Schächter. Und Regisseur Vilsmaier? „Politik? Da halt’ ich mich raus.“
Matthias Maus

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.