„Der Tod in allen Formen“

Christoph Röckerath, ZDF-Korrespondent auf Haiti, über die Schwierigkeit, die Katastrophe in Bilder zu fassen
von  Abendzeitung

Christoph Röckerath, ZDF-Korrespondent auf Haiti, über die Schwierigkeit, die Katastrophe in Bilder zu fassen

Es ist Mittwoch, 12.20 Uhr, als die Nachrichtenagentur AP ein schweres Nachbeben auf Haiti vermeldet. Zwei Minuten später ruft ZDF-Korrespondent Christoph Röckerath aus Port-au-Prince zum vereinbarten Interview in der AZ an und wiegelt ab. „Das haben wir hier öfter, ich sage immer, die Erde räuspert sich.“ Der 36-Jährige war erst im vergangenen Jahr ins Team der Washingtoner ZDF-Korrespondenten geholt worden und berichtet seit Mittwoch über die Folgen des schweren Erdbebens auf Haiti:

AZ: Herr Röckerath, wurde Ihr Einsatz lange vorbereitet?

CHRISTOPH RÖCKERATH: Nein, als wir die ersten Nachrichten aus Haiti bekommen haben, sind ein Team und ich Hals über Kopf von Washington aus aufgebrochen. Wir haben am Flughafen noch schnell Bargeld am Automaten geholt und Wasser und Kekse organisiert. Wir waren auch mit die Ersten, die in Port-au-Prince eingetroffen sind, nur die Kollegen von CNN waren schon im eigenen Flugzeug da.

Konnten Sie sofort mit der Arbeit beginnen?

Wir haben schon am Mittwoch die erste Live-Schaltung gehabt und ab Freitag letzter Woche die ersten gebauten Reportagen aus der Stadt gesendet. Hotels gab es selbstverständlich nicht, wir haben erst am Flughafen übernachtet und sind dann in den Garten der Deutschen Botschaft gezogen, wo wir die Möglichkeit bekamen, zu zelten.

Ihre Kollegen von CNN retten blutende Kinder inmitten von Plünderern, der „CNN Medical Correspondent“ lässt sich bei seiner Arbeit als Arzt filmen. Ist diese Form der Berichterstattung nicht näher dran?

Wenn wir diese Art von Journalismus machen würden, ginge ein Aufschrei durch die deutsche Presse. Wir sind genauso mittendrin, aber wir sind keine Selbstdarsteller, die die leidenden Menschen vor Ort als Staffage benutzen. Es ist hier eine schwierige Balance, dem Zuschauer zu beweisen, dass man am Ort des Geschehens ist und sich andererseits nicht effektheischerisch ins Bild stellt. Wir würden nie auf einen Flüchtlingstruck steigen, nur damit die Anmoderation spannender wirkt. Wir waren auch dabei, als Menschen aus Trümmern geborgen wurden, aber wir knallen den Menschen dann nicht die Scheinwerfer ins Gesicht oder das Mikrofon, bevor die überhaupt einen Schluck Wasser bekommen haben.

Welche Kriterien haben Sie bei der Auswahl der Bilder dieser Katastrophe?

Wir sehen hier den Tod in allen Formen. Bilder, die sich kein Horrorregisseur schlimmer ausmalen könnte. Das können wir den Zuschauern nicht zumuten, es sitzen ja auch Kinder vor dem Bildschirm, die wir nicht traumatisieren wollen. Fast noch wichtiger ist aber die Menschenwürde. Ich darf auch die Überlebenden nicht bloßstellen, ich muss sie nicht in einem Stadium der völligen Verzweiflung zeigen. Wenn ich sage, dass eine Frau in Tränen aufgelöst ist, brauche ich dazu nicht ihr Gesicht in Großaufnahme.

Ist Ihr Einsatz gefährlich?

Es ist kein ungefährlicher Einsatz, das wäre er in Haiti ohne Beben auch nicht gewesen. Aber wir sind schon eine Woche hier und haben ein Gespür dafür entwickelt, wann eine Stimmung umschlägt und aus Verzweiflung in den Straßen auch Wut wird.

Es kam in den ersten Tagen nach der Katastrophe auch die Frage auf, ob die Helfer die kargen Ressourcen selbst aufbrauchen.

Ich habe davon gehört und kann nur für uns sprechen. Wir haben die ersten Tage nur unser mitgebrachtes Wasser getrunken, unsere Kekse gegessen und wie alle Kollegen gehungert. Wir haben sicherlich niemandem etwas weggenommen.

Volker Isfort

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