Der stille Weltverweigerer
Gleich am Eingang hängt dieses eher unscheinbare Bild. Ein junger Mann schaut uns da entgegen, aus leeren dunklen Augen. Die linke Hälfte seines bleichen Gesichts ist verschattet, und auch der Rest liegt selbst nach längerem Betrachten, wenn sich doch vereinzelte Konturen herauszuschälen beginnen, im Diffusen. Vilhelm Hammershøi (1864-1916) hat sich hier selbst gemalt, im Alter von 33 Jahren. Und trotz der für sein Œuvre so raren Frontalität erzählt dieses Porträt eine Menge von der Kunst des bescheidenen Dänen, der nach Hamburg (2003) nun in der Hypo-Kunsthalle seinen zweiten großen Auftritt in Deutschland hat.
Da ist vor allem die leise Melancholie, die erst recht seine berühmten Interieurs durchzieht. Der Dichter Rainer Maria Rilke war hin und weg von diesen Räumen, wollte Hammershøi einen umfassenden Essay widmen – um zu scheitern. Was kaum verwundert. Denn für diese radikale Innenwende, tansportiert durch ein Gehäuse, in das ein Stuhl, ein Tisch mit einer Schale, vielleicht eine Lampe in (Un)farben wie Grau, Weiß, Braun arrangiert wurden, sind nur schwer Worte zu finden. Und: Diese Bilder entziehen sich jeglicher Deutung. Ihr Personal – fast immer Ehefrau Ida, die dem Maler zeitlebens die engste Vertraute ist – wendet uns den Rücken zu, versunken in etwas, das nur selten zu entschlüsseln ist. Vermeer kommt einem in den Sinn. Mit dem vergleicht ihn ein Münchner Kunstkritiker, als 1909 sieben Arbeiten Hammershøis im Glaspalast ausgestellt sind. Gleichwohl mit dem Zusatz „modern“ und „nordisch“.
Das Rätsel dieser Bilder will nicht gelöst werden
Tatsächlich hat sich der menschenscheue Künstler aus Kopenhagen mit der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts beschäftigt, intensiv sogar, aber sein Blick ging an den Zeitgenossen nicht vorbei. An Henri Fantin-Latour etwa und Eugène Carrière mit seinen grau-braun verschwommenen Gesichtern, an James McNeill Whistler, den er besonders verehrte, Puvis de Chavane oder Fernand Khnopff. Viele davon hat Hammershøi auf seinen Reisen studiert, in der Kunsthalle laden solche Anregungen und einige interessante Parallelen zum direkten, erhellenden Vergleich.
Doch weder Dialog noch Verankerung in der Zeit ändern etwas an der Einzigartigkeit dieses Werks. Und schließlich ist Hammershøis Gegenentwurf zu einer immer lauter werdenden Welt der Maschinen und Eisenbahnen, der rapide wachsenden Großstädte und der Entfremdung vom alten Gefüge einer Familien- oder Dorfgemeinschaft einer der entschiedensten um 1900.
In diesen Bildern schwebt etwas Ungewisses, latent Unheimliches, ein ewiges Rätsel, das nicht gelöst werden will. Damit gewinnt der Betrachter unendlich Raum. Und Ruhe. In einer Zeit, da uns an jeder Ecke ein schrillbunter Gag entgegen kreischt, ist diese Stille von einem geradezu soghaften Reiz. Vor ein paar Tagen erst hat Sotheby’s in London fünf Hammershøis als Höhepunkte einer Spezialauktion präsentiert – taxiert zwischen 300.000 und 600.000 Euro. Die Summen werden weiter in nach oben schießen, so viel ist sicher.
Bis 16. September 2012, täglich von 10 bis 20 Uhr, Katalog (Prestel Verlag) 25 Euro
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