Der Standort-Oldie
Die Freien Wähler fordern forsch mehr Musicals für München. Aber das wollen ohnehin alle Parteien – nur die Betreiber zögern
Wer Musicals mag, zieht besser nach Hamburg. Im Theater am Hafen läuft der Dauerbrenner „König der Löwen“. In der Neuen Flora streicht seit zwei Jahren „Tarzan“ durch den Dschungel. Im Operettenhaus folgt auf den nach Stuttgart wechselnden Udo-Jürgens-Erfolg „Ich war noch niemals in New York“ ab 2. Dezember das von Whoopi Goldberg produzierten „Sister Act“.
Wir können lange warten, bis dieses Hits bei uns vorbeischauen. Musicals werden mit dem spitzen Bleistift kalkuliert. Sie müssen ihre Kosten durch lange Laufzeiten einspielen und werden „en suite“ in ununterbrochener Folge an einer Bühne gespielt. Bei nachlassender Nachfrage touren sie durch die Provinz, zu der in dem Fall München zählt. Abgehangenes wie „Mamma mia“ oder „Elisabeth“ schaut dann für ein paar Wochen im Deutschen Theater vorbei.
Durch die weit offene Tür
Diese oft beklagte Tatsache macht nun die Freien Wähler und ihren Landtagsabgeordneten Michael Piazolo wepsig. „Hier scheint der Stadtrat der fast einhelligen Meinung zu sein, dass ein Opernbesuch es auch täte“, holzt er auf seiner Homepage „Musical Initiative München“ und verspricht blühende Tourismuslandschaften: Hotels und Gaststätten hätten nicht nur zum Oktoberfest Hochkonjunktur, wenn ein En-Suite-Haus auch in München aufmachen würde.
Piazolo prügelt die Falschen. Die Stadträte sind längst nicht so verschnarcht. Die SPD schlug vor einen Jahr vor, das Fröttmaninger Zelt des Deutschen Theaters nach vollendeter Renovierung des Stammhauses einem privaten Musical-Betreiber anzuvertrauen, was auch die CSU nicht schlecht fand.
Nur: Es gibt keinen ernsthaften Interessenten für das Fröttmaninger Zelt. Seit Ewigkeiten verhandelt die Stadt mit Stage Entertainment, die seit der Pleite von Stella als Quasi-Monopolist die Aufführungsrechte aller attraktiven Musicals hält. Der Ableger des niederländischen Unterhaltungsriesen Endemol wollte 2004 das Deutsche Theater übernehmen. Später feilschte er so lange um das Radstadion, bis es wegen der Olympiabewerbung 2018 nicht mehr zur Verfügung stand. Vergebens wurde dem Unternehmen auch die Rudi-Sedlmayer-Halle im Westpark angeboten. „Unserer Firmenphilosophie entspricht es, Musicals nicht auf der grünen Wiese stattfinden zu lassen, sondern dort, wo Austausch zwischen Menschen herrscht: sprich innenstadtnah“, sagt Stage-Sprecher Stephan Jaeckel, der sich als exzellenter Kenner aller nur möglichen Standorte dieser schönen Stadt erweist.
In einem Punkt ist sie allerdings ein Sonderfall: München betreibt einmalig mit dem Deutschen Theater selbst eine Unterhaltungsbühne mit wechselnden Gastspielen. Die ist zähnknirschend der Konkurrenz aufgeschlossen, weil sie gelegentlich selbst bei Stage Entertainment einkauft. In Zusammenarbeit mit der Theaterakademie zeigt das Haus außerdem neuerdings anspruchsvolle Musicals.
Der Markt schwächelt
Aus dem Kulturreferat ist zu vernehmen, dass derzeit niemand konkret am Betrieb oder Bau eines zweiten Musicaltheaters interessiert sei, obwohl Stage Entertainment seinen Fuß in der Tür behält. Der Boom sei ohnehin vorüber. „Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation befindet sich der Musicalmarkt im deutschsprachigen Raum weiterhin in einer Konsolidierungsphase“, konstatiert die Behörde kühl.
Die Freien Wähler glauben dagegen wie das Milchmädchen ans Christkind. Piazolo hält es für eine verpasste Chance, dass der einstige Karstadt am Dom in der Fußgängerzone nicht dem Entertainment umgewidmet wurde. „Endlich hätte die Weltstadt mit Herz wieder ein Herz, einen pulsierenden, kulturellen Mittelpunkt“, schwärmt er und vergisst, dass sich in einer Gegend mit Quadratmetermieten bis zu 3000 Euro kein Musical der Welt rechnet.
Realistische Orte wären die Hallen an der Dachauer Straße oder das in Umplanung befindliche Großmarkthallen-Gelände. Die Mehrfachpleite der genialen Füssener Ludwig-Musical-Idee sollte eine Warnung für alle sein: Das Genre ist längst vom Goldenen ins Eiserne Zeitalter übergetreten: Andrew Lloyd Webber ist verstummt. Neue Musicals plündern heute Erfolge von Schlagersängern und wärmen alte Filme auf. Das ist kommerziell kreativ, aber nicht künstlerisch.
Robert Braunmüller
Michael Piazolos Initiative im Internet: musical.fwmuenchen.de