Der Staatsphilosoph: Jürgen Habermas wird 80
MÜNCHEN - Er holte die Philosophie aus dem universitären Elfenbeinturm und stellte sie in die Mitte der Gesellschaft. Am Donnerstag feiert Jürgen Habermas seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass: Ein Schnellkurs seiner intellektuellen Biografie
Herkunft
Der gebürtige Düsseldorfer wuchs in Gummersbach auf. Das politische Klima seines Elternhauses während der Nazi-Zeit beschreibt er als „geprägt durch eine bürgerliche Anpassung“. 1944 wurde er als Fronthelfer an den Westwall geschickt. Von 1949 bis 1954 studierte Habermas in Göttingen, Zürich und Bonn.
Philosphische Tradition
Habermas ist als Nachfolger von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer der wichtigste Vertreter der zweiten Generation der „Frankfurter Schule“. Von ihren hegelianischen und marxistischen Wurzeln hat er sich gelöst. Als übergeordnetes Thema seines Werks gilt sieht er selbst „die Versöhnung der mit sich selber zerfallenden Moderne“.
Bedeutung
Seit Ende der 1970er Jahre beteiligte sich Habermas an allen großen Debatten der Bundesrepublik. Seine sozialphilosophischen Werke machten ihn international zum bedeutendsten deutschen Intellektuellen.
Anfänge
Erstes Aufsehen erregte Habermas 1953 mit einer Besprechung von Martin Heideggers „Einführung in die Metaphysik". Dieser hatte im Abdruck einer Rede von 1935 die Formulierung von der "inneren Wahrheit und Größe" der nationalsozialistischen Bewegung nicht gestrichen., was Habermas als Rehabilitation des Nazismus scharf verurteilte.
Erste Konflikte
Ein Stipendium brachte Habermas 1956 ans Frankfurter Institut für Sozialforschung. Dort wurde er Assistent bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, den wichtigsten Vertretern der „Kritischen Theorie“. Sein Engagement in der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ und radikaldemokratische Äußerungen lösten bei Horkheimer heftige Reaktionen aus, gegen die ihn Adorno zu verteidigen suchte.
Karriere
Habermas habilitierte sich 1961 mit der Schrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“. Darin beschreibt er die Entstehung der modernen Massengesellschaft als Prozess, an dem Medien und Politik sowie Bürokratie und Wirtschaft beteiligt waren.
"Linker Faschismus"
Als Theoretiker inspirierte er die Studentenbewegung um 1968, ging jedoch bald auf Distanz. Rudi Dutschke warf er einen rhetorisch leichtfertigen Umgang mit der Gewalt vor und sprach von „linkem Faschismus“. Später bedauerte er diese Wortwahl.
Verfassungspatriotismus
Schon Ende der 1960er Jahre hatte er die Position der sogenannten „verfassungsloyalen Linken“ entscheidend mitgeprägt. Ab 1977 nahm er verstärkt zu tagespolitischen Streitpunkten Stellung. So wandte er sich gegen die Ausweitung des Radikalenerlasses von 1972 und setzte sich mit dem Neokonservatismus und seiner Kritik an der Moderne auseinander.
Herrschaftsfreier Diskurs
1981 erschien die „Theorie des kommunikativen Handelns“. Sie gilt als Hauptwerk des Philosophen. Im Zentrum steht die Idee des „herrschaftsfreien Diskurses“ als demokratischem Prozess. Rationalität entsteht demnach aus einem „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments“. Wir müssen etwas (1.) vernünftig Nachvollziehbares behaupten, wir müssen es (2.) in einem sozial anerkannten Kontext tun, wir müssen dabei (3.) glaubhaft sein und uns schließlich (4.) einer vom Angesprochenen beherrschten Sprache bedienen.
Historikerstreit
1986 löste seine Kritik von Habermas an Ernst Nolte die Debatte aus. Der neokonservativen Historiker setzte den nationalsozialistischen Massenmord in Beziehung zu den stalinistischen Verbrechen. Habermas verstand dies als beschönigende Relativierung des Holocaust.
Zeitungskrise
2007 sorgte sich der Philosoph angesichts der Ablösung patriarchalischer Verleger durch Finanzinvestoren um die Zukunft der Zeitungen. Sein Fazit: „Keine Demokratie kann sich ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten.“
Über Europa
„Die Intellektuellen meiner Generation haben Demokratie noch am Nationalstaatsmodell eingeübt. Daher herrscht wohl eher eine nationalstaatliche Zufriedenheit und Europaskepsis unter ihnen. Wirtschaftliche Erwartungen reichen aber als Motiv nicht aus, um in der Bevölkerung politische Unterstützung für das risikoreiche Projekt einer Union, die diesen Namen verdiente, zu mobilisieren. Dazu bedarf es auch einer gemeinsamen Wertorientierung und der Mobilisierung für Ziele, die auch an die Gemüter appellierten. Es gilt, europaeigene Interessen im Weltwirtschaftssystem wahrzunehmen und ein eigenes Lebensgefühl zu entwickeln.“
Zum Weiterlesen
Die Rede „Die Moderne – ein unvollendetes Projekt“, gehalten 1980. Habermas verteidigt darin die Moderne gegen ihre Kritiker und entwirft das Programm, ihre Defizite durch eine „radikalisierte Aufklärung“ wettzumachen.
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