Der Sound zum Kurswert
Multitalent Christoph Reiserer komponiert „Die Nacht des Brokers“ – eine Kammeroperüber Geld-, Sex- und Lebensgier, die nun in der Muffathalle uraufgeführt wird
Seit vielen Jahren kennt man Christoph Reiserer als Saxofonist und Multiinstrumentalist in der freien Szene. 2007 komponierte er für die Musiktheater-Regisseurin Cornelie Müller die Büro-Kammeroper „Und wenn wir dann soweit sind, können wir anfangen“, 2009 erhielt der 43-Jährige den Münchner Förderpreis für Musik. Heute wird in der Muffathalle Reiserers Kammeroper „Die Nacht des Brokers“ uraufgeführt. Das Libretto schrieb Ralph Hammerthaler, Regie führt Cornelie Müller.
Um Gier geht es, Geld-, Sex-, Lebensgier. Der skrupellose Broker Adrian (Manuel Warwitz) hat durch erfolgreiche Spekulation das Vermögen seiner Mutter (Cornelia Mélian) vernichtet. Er verliebt sich in Klara (Silke Warwitz), die ihn abblitzen lässt. Sein Freund Raúl (Marcus Schmidl), dem er sein Leid klagt, erzählt überraschend von seiner gescheiterten Ehe mit Klara.
Dieses Libretto schrieb Ralph Hammerthaler für die Neuköllner Oper in Berlin, die dann aber den Stoff doch nicht vertonen ließ. Hammerthaler ist ein Jugendfreund Reiserers, beide stammen aus Wasserburg am Inn. Durch Vermittlung Reiserers hatte der Schriftsteller für Alex Nowitz das Libretto zur 2006 uraufgeführten „Bestmannoper“ geschrieben. Nun wollte er für „Die Nacht des Brokers“ Reiserer als Komponisten und Cornelie Müller als Regisseurin der freien Produktion.
Bildschirme dirigieren Musiker – wie bei Brokern an der Börse
„Das Libretto ist sehr filmisch, Hammerthaler nennt es eine ,Übermalung’ des Antonioni-Films ,L’eclisse’ von 1962“, erklärt Reiserer. „Bei den schnellen Umbrüchen der 23 Szenen ist es nicht einfach, einen Bogen zu kriegen. Ich versuche, für die verschiedenen Szenen Stimmungen herzustellen.“
Wie avantgardistisch ist seine Komposition? „Ich habe nicht für Spezialisten in Neuer Musik komponiert, ich möchte das Publikum erreichen", sagt Reiserer. „Zum Teil ist es minimalistisch mit vielen Wiederholungen, aber keine Minimal Music. Ich arbeite mit einfachen, kleinen Motiven. Es kann auch mal dissonant werden, aber das wird wieder aufgefangen. Moderne Musik wird oft zur intellektuellen Spielerei – in diese Richtung möchte ich nicht. Ich versuche, Altes und Neues zu verbinden. Bei mir gibt es Rhythmus und Groove, das Ensemble ist eine Band.“
Als Sänger hat er sich Spezialisten für Alte Musik gesucht, weil er keinen romantischen Belcanto wollte, sondern klare Stimmen und Textverständlichkeit. Die Solisten singen auch als Vokalensemble. „Der Chor hat erstens die Funktion eines Erzählers“, erläutert der Komponist. „Zweitens steuert er etwas Unterbewusstes bei, eine Färbung, die über die Solostimme hinausgeht.“ Daneben setzt Reiserer Elektronik ein. Er hat ein Computersystem entwickelt, das Noten generiert. „Die Musiker sitzen vor Laptops und erhalten an bestimmten Stellen Anweisungen. Die sind aus dem Klavier generiert, das unter den Instrumenten der Erzähler ist. Ich habe Kurven von Kurswerten genommen, die bestimmte Parameter in der Musik steuern – immer integriert in mein harmonisches System. Die Musiker müssen an gewissen Stellen vom Blatt beziehungsweise Bildschirm spielen. Sie sind abhängig wie ein Broker von den Börsenkursen. Was sie spielen, wird auch in Zahlen dargestellt – als ob man Kurswerte hört."
In der Zukunft würde Reiserer gern mehr über den Tellerrand der freien Szene schauen. Ein Jahr war er als Artist in Residence im schottischen Glasgow, das hat ihm gut getan. Als Nächstes kreiert er für die Münchener Musik-Biennale in der Villa Stuck eine Installation, bei der die Musiker immer mehr Maschinen einsetzen, die dann eine Woche lang weiterspielen. Und was ist sein Fernziel? Reiserer lacht verschämt: „Ich möchte gern mal ein Musical schreiben. Kein normales Musical, sondern eins mit seltsamen Wendungen. Mich interessiert nicht der kommerzielle Erfolg. Mir machen Tanz, Rhythmus und Songs Spaß.“
Gabriella Lorenz
Muffathalle, 22. – 24. Februar, 20.30 Uhr, Tel. 089/ 54818181 und www.muenchenticket.de
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