Der runde Klang der Hoffnung

Salzburger Festspiele: Zwei Abende mit Dirigent Daniel Barenboim und seinem West-Eastern Divan Orchestra. Einmal "Fidelio" konzertant, dann die "Symphonie Fantastique" von Berlioz
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Salzburger Festspiele: Zwei Abende mit Dirigent Daniel Barenboim und seinem West-Eastern Divan Orchestra. Einmal "Fidelio" konzertant, dann die "Symphonie Fantastique" von Berlioz

Vor zehn Jahren gründeten Daniel Barenboim und der palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra. Es besteht je zur Hälfte aus israelischen und arabischen Musikern. Ihre Auftritte geben nicht nur Hoffnung auf eine Verständigung im Nahen Osten. Als weit und breit einziges Jugendorchester kultivieren sie neben technischer Brillanz auch einen unverwechselbar dunklen, runden Klang, der an Barenboims Berliner Staatskapelle erinnert.

Vielleicht, weil das Ensemble die Tugend wechselseitigen Zuhörens und der Toleranz propagiert, sind Karten ein perfektes Geschenk für frisch Vermählte: Kaiser Franz spendierte Boris Becker samt seiner Lilly zwei Plätze für den konzertanten "Fidelio" in Salzburg. Auch in der Kunst kammermusikalischen Zusammenspiels hat es dieses Orchester weit gebracht. Eine makellosere Begleitung der Leonoren-Arie als durch die drei west-östlichen Hornisten ist kaum vorstellbar.

Daniel Barenboim entdeckte Zartheiten wie ein unvergessliches Klarinettensolo in den letzten Takten des er-sten Akts. Auch die konzentrierte Ruhe am Beginn der zweiten Leonoren-Ouvertüre glückte bewundernswert. Aber Beethovens "Fidelio" ist mehr als ein symphonisches Adagio.

Waltraud Meier wagte als Leonore jenseits leichter Verhärtungen ihres Mezzos erstaunlich lyrische Momente. Die übrige Besetzung machte nicht glücklich. Peter Mattei wäre ein guter Minister, aber für den Pizarro ist er viel zu lyrisch. Simon O'Neill lieferte mit weisslichem Heldentenor die Noten ab, ohne ein Minimum an Gefühl zu investieren. John Tomlinson donnerte mit den explodierenden Resten seiner Stimme einen sehr holzschnittartigen Rocco.

Überprobiert wirkte die wacklige Aufführung am Mittwoch nicht, selbst wenn man abzieht, dass der grosse Musiker Barenboim nie ein Präzisonsweltmeister war.

Das zweite Konzert

Manchmal kann Barenboim auch richtig ungehalten werden, etwa, wenn er mit unwirschen Handbewegungen in der "Symphonie fantastique" von Berlioz die Bratschen anweist, sich zurückzuhalten. Das Orchesterkonzert zum Abschluss des Salzburg-Gastspiels funktionierte der Maestro kokett in eine One-Man-Show um. Seine Hüftschwünge erreichen mittlerweile die Qualität jener von Celibidache, die nahezu exhibitionistischen Gesten richten sich an das Publikum.

Die Musiker des West-Eastern Divan Orchestra verhalten sich wie echte Profis: Sie schauen in die Noten, anstatt auf den Dirigenten. Auch diesmal beeindruckten das stets spürbare Engagement, die Frische des Musizierens.

Dass Barenboim ein begnadeter Wagner-Dirigent sein kann, stellte er beim "Tristan"-Vorspiel (und "Liebestod") erneut eindrücklich unter Beweis - Musik, die in Israel noch immer auf Empörung stösst. Liszts "Les Prèludes", von den Nazis als Fanfare für vermeintliche Kriegserfolge missbraucht, mag ebenfalls als Provokation gedacht gewesen sein.

Doch der Ernst, mit dem Barenboims treffliche Crew musizierte, zerstreute alle Bedenken. Schade, dass die "Symphonie fantastique" von Berlioz zur Zirkusnummer mutierte. Sinnwidrige Zäsuren, Eigenwilligkeiten, die sich nicht in der Partitur wiederfinden - das hat ein so wunderbarer Musiker wie Daniel Barenboim doch gar nicht nötig.

Robert Braunmüller, Volker Boser

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