Der Roman "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft"

Nein, um das Sommermärchen dreht sich dieses Buch nicht. Auch das „Wunder von Bern“ bleibt unerwähnt. Helmut Kraussers „Geschehnisse während der Weltmeisterschaft“ ist kein Fußball-Roman, obwohl der heute in Berlin lebende Ex-Münchner aus Esslingen vor zwei Jahren eine „Gebrauchsanweisung für den FC Bayern“ verfasst hat.
Die Weltmeisterschaft des Romantitels ermittelt den Sieger im „Competition Sex“. Erfunden wurde die neue Sportart Leistungssex – Tusch für einen erzähltechnischen Kalauer – von einem „etwas älteren deutschen Romancier, der das Ganze als Witz und krude Altherrenfantasie in die Welt gesetzt hatte und mit seinem Buch einen unerwarteten Bestseller landete“. Vom 53-jährigen Krausser selbst also, der sich im eigenen Buch ein kleines Denkmal setzt.
Auf eine schwüle Altherrenfantasie sollte der Leser allerdings nicht hoffen: Disziplinen wie „Speedkoitieren“, „Orasticon“ oder „Manusticon“ beschreibt der Autor so kalt technologisch, wie diese Sportart zwischen Turnen und Paarlauf im Buch praktiziert wird.
Dostojewski und Bruckner
Der Ich-Erzähler ist Superstar und dreimaliger Weltmeister des „Team Berlin“. In Kopenhagen 2028 soll es ein viertes Mal klappen. Davor durchlebt er eine depressive Episode, die er in einer einsamen norwegischen Hütte auskuriert. Dieser Leon schätzt Dostojewski und Adagios von Bruckner. Er blafft des Leser schon mal ruppig an, er möge gewisse bildungsbürgerliche Inhalte googeln.
Wie groß seine anfangs nur leichte Meise wirklich ist, ahnt nur der Leser nicht, der nie etwas von einem Palindrom gehört hat.
Als schwarze Utopie ist das Buch ein Schrei nach romantischer Liebe. Der alternde Schriftsteller, so heißt es gegen Ende, wurde glücklich: Er habe sich ab seinem 60. Lebensjahr nur noch für seine Ehefrau interessiert.
Krausser hat seinen starken Ekel vor den Intrigen und Perversionen des organisierten Funktionärssports hineingepackt. Das ist leider mäßig originell. Bevor – wie öfter in Kraussers Büchern – die ganze Geschichte in einem Theatercoup mit bengalischer Beleuchtung in die Luft fliegt, kommt noch ein neuer Handlungsstrang um die kaputte Ehe eines dänischen Voyeurs mit romantischen Neigungen für eine verschleierte Muslima hinzu. Das wirkt als erzähltechnische Sättigungsbeilage.
Religioten, Faschisten, Muselmännchen
Der Roman spielt in zehn Jahren: 2028, nach den „großen Umwälzungen“ in Europa, die zu einer Teilung zwischen Nord und Süd geführt haben. Tolerante Naivlinge haben eine Machtergreifung durch Muslime, Neue Christen und Hakenkreuzler zugelassen.
Nur noch im liberalen Kopenhagen sind die Spiele möglich, aber sie müssen geschützt werden vor den „Religioten, Faschisten, Muselmännchen“, die vor dem Austragungsort wütend demonstrieren.
Womit das Problem dieses Buchs benannt ist: Bei Sex, Muslimen und der Islamisierung Europas denkt man unweigerlich an Michel Houellebecq. Die These, dass Sex die Menschheit „in mehr oder minder attraktive Kasten“ einteile, könnte ebenso in einem Buch des Franzosen stehen wie Leons verkorkste Mutter-Beziehung oder die Charakterisierung des weiblichen Lustorgans als „Schnappfalle, die gedankenlose Lüstlinge mit dem Vatersein bestraft“.
Nein, Kinder mag der verantwortungslose Ich-Erzähler nicht. Dafür wird er von Krausser auf der letzten Seite bestraft. Es ist schwer zu sagen, ob das ironisch oder zynisch gemeint ist. Eine Offenheit, die man den „Geschehnissen während einer Weltmeisterschaft“ als Stärke auslegen kann. Wenn einem der Houellebecquismus das Buch vorher nicht gründlich verlitten hat.
Helmut Krausser: „Geschehnisse während der Weltmeisterschaft“ (Berlin Verlag, 240 Seiten, 20 Euro)