Der Roman „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ von Jakob Hein

Jakob Heins Roman „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ erzählt vom deutschen Versuch, im Ersten Weltkrieg den Dschihad auszurufen
von  Robert Braunmüller
Der Schriftsteller Jakob Hein.
Der Schriftsteller Jakob Hein. © dpa

Den Ersten Weltkrieg gewinnen? Eigentlich kein Problem. Man ruft den Heiligen Krieg aus, und schon hat man Millionen von Muslimen auf seiner Seite – von Marokko bis Indonesien. Und dem Sieg steht nichts mehr entgegen.

Strategische Überlegungen dieser Art wurden in Berlin und London nach 1914 tatsächlich unternommen. Der Brite T. E. Lawrence, der „Lawrence von Arabien“, ist dank seiner Memoiren und des 1961 entstandenen Films von David Lean mit Peter O’Toole ebenso ein Begriff wie die Geschichte von Gertrude Bell, der „Königin der Wüste“. Dass es aber ähnliche Abenteurer auch auf deutscher Seite gab, ist viel weniger bekannt.

An einen von ihnen erinnert Jakob Hein in seinem Roman „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“. Der langweilt sich im Hinterland der Westfront und schlägt dem Kriegsministerium in Berlin vor, den Suez-Kanal durch Sprengungen für die Briten unpassierbar zu machen. Dieser Plan wird abgelehnt.

Wenig später aber soll er für Kaiser Wilhelm II. den Dschihad organisieren, indem er als ersten Schritt eine als Zirkus getarnte Truppe von 14 kollaborationswilligen muslimischen Kriegsgefangenen nach Istanbul schmuggelt, was schon im November 1914 wirklich passierte. Auch wissen nur wenige, dass für viele andere Kriegsgefangene aus dem französischen Maghreb 1915 in Zossen bei Berlin ein eigenes Lager gebaut wurde und hier auch die erste echte deutsche Moschee stand, die nicht wie frühere Bauten des 18. oder 19. Jahrhunderts als Dekoration eines Parks oder wie in Dresden als Zigarettenfabrik dienten.

Eine wahre Geschichte

Klingt alles bizarr, ist aber eine wahre Geschichte. Hein hat sie den Memoiren von Edgar Stern-Rubarth entnommen, die er teilweise wörtlich zitiert. Was dort fehlt, etwa die Vorgeschichte der nach Istanbul geschmuggelten Gefangenen, hat er mit Geschick und Geschmack literarisch ergänzt.

Sie waren auf dem Weg nach Istanbul getarnt als Kunstreiter, um die mit den britisch-französischen Alliierten sympathisierenden Rumänen zu täuschen. Eine mitreisende Funkstation wurde als Zirkuszelt ausgegeben. Es klappte – und nach ihrer Ankunft in der damaligen türkischen Hauptstadt Istanbul zog sich der mit den Deutschen verbündete Sultan Mehmed V. in seiner Eigenschaft als Kalif und Schutzherr aller Gläubigen den Mantel Mohammeds an. Er umgürtete sich mit dessen Schwert, entrollte die grüne Fahne und rief in der Fatih-Moschee wirklich den Heiligen Krieg aus.

Am nächsten Tag gab es eine Kundgebung am Taksim-Platz, bei der einer der Kriegsgefangenen vor einer jubelnden Menschenmenge eine Rede hielt. Dann wurde das Hotel eines Armeniers demoliert und ein russisches Denkmal zerstört, das an die türkische Niederlage von 1878 erinnerte. Das letztgenannte Ereignis wurde auch im ersten türkischen Film festgehalten.

Deutsche Gründlichkeit

Das Echo blieb verhalten. Deutsche Zeitungen berichteten nur auf den hinteren Seiten. „Selbst die britische, die französische und die russische Presse, die doch vor den aufständischen Muslimen hätte zittern müssen, ignorierte das Signal zur großen Erhebung vom Bosporus vollständig.“ Von Scharmützeln oder gar einer größeren Erhebung in der muslimischen Welt hörte man gar nichts.

Schon damals war der Islam etwas komplizierter, als Deutsche und ihre Behörden ahnten. Aber Stern-Rubarth und der Leutnant Stern dieses Romans wären keine Deutschen gewesen, wenn sie es nicht mit Gründlichkeit weiter versucht hätten: Stern-Rubarth reiste weiter ins schiitische Zentrum Kerbala, um auch die andere große Strömung der Muslime für Deutschland und seine Verbündeten zu gewinnen.

Der Groß-Mudjtahid ließ ein prachtvolles Pergament ausstellen und forderte als Oberhaupt der Schiiten den Schah von Persien auf, der gerechten Seite der Mittelmächte beizutreten. Zur gleichen Zeit aber rückten die Briten bereits in Richtung Basra vor. Mehr Erfolg als Stern-Rubarts Propagandakrieg hatten preussische Offiziere als Berater und Kommandanten osmanischer Truppen in Mesopotamien. Militärisch und strategisch waren sie nicht schlechter als T. E. Lawrence auf arabisch-britischer Seite. Aber die Geschichte schreiben nun mal die Sieger.

Deutsch-türkische Geschichte

Heins Roman gibt auf literarische Weise einen guten Einblick in gewisse Abgründe der deutsch-türkischen Geschichte. Dazu gehört auch der Völkermord an den Armeniern, dessen Zeuge der echte Stern-Rubarth ebenso wurde wie der erfundene Leutnant Stern.

Die Komplizen- und Waffenbrüderschaft mit der Türkei ist bei uns nur eine Fußnote in der Geschichte des Ersten Weltkriegs. Am Bosporus leitet man daraus bis heute besondere Beziehungen zu Deutschland ab. Um sie besser zu verstehen, ist dieses knapp gehaltene Buch hilfreich, ganz abgesehen davon, dass die Lektüre kurzweilig ist, obwohl sich Hein die abenteuerliche Karl-May-Pose des echten Stern-Rubarth verkneift.

Jakob Hein: „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ (Galiani, 256 Seiten, 18 Euro)

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