Der Retter der Malerei

Gerhard Richter, einer der weltweit erfolgreichsten lebenden Künstler, ist am Mittwoch 80 Jahre alt geworden – seine Bilder mag er allerdings nicht erklären
von  Christoph Driessen

Gerhard Richter, einer der weltweit erfolgreichsten lebenden Künstler, ist am Mittwoch 80 Jahre alt geworden – seine Bilder mag er allerdings nicht erklären

Manches Malergenie wurde erst nach seinem Tod entdeckt, weil die Zeitgenossen seine Bedeutung noch nicht zu erkennen vermochten. Gerhard Richter aber ist es vergönnt, schon zu Lebzeiten als „Picasso des 21. Jahrhunderts“ („The Guardian“) oder „Europas größter moderner Maler“ („ New York Times“) gerühmt zu werden.

Auf Ranglisten der wichtigsten Künstler stand er oft auf Platz 1. Seine Gemälde erzielen Rekordpreise. Am Mittwoch feierte der in Dresden geborene Richter seinen 80. Geburtstag. In der Neuen Nationalgalerie in Berlin öffnet ihm zu Ehren am 12. Februar das „Gerhard Richter Panorama“ mit rund 150 Gemälden aus allen Schaffensperioden. Das Gerhard Richter Archiv in seiner Heimatstadt Dresden versammelt in der Ausstellung „Atlas“ Fotografien, Zeitungsausschnitte, Skizzen und Entwürfe, die der Künstler über Jahrzehnte zusammengetragen hat. Richter selbst sieht Lobeshymnen auf sich eher skeptisch.

Auch mit Sammlern, die Millionenbeträge für seine Werke zahlen, kann er nichts anfangen. „Ein guter Sammler ist für mich jemand, den ich noch nie getroffen habe“, sagte er. Die einhellige Begeisterung der Kunstwelt für Richter steht dabei in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Ratlosigkeit, mit der das große Publikum seine Bilder betrachtet. Die „Kerze“ zum Beispiel, die im Oktober zwölf Millionen Euro erzielte, wirkt geradezu banal. Was soll daran nun so toll sein?

„Zu der Zeit, als Richter 1961 aus der DDR in den Westen floh, sprachen viele vom Ende der Malerei“, erläutert die Kunstbuchautorin Angela Wenzel aus Düsseldorf. Wenn es um möglichst realistische Abbildungen ging, war die Malerei der Fotografie hoffnungslos unterlegen. Und auch das, was Impressionisten und Expressionisten gemacht hatten – die Welt ganz subjektiv durch die eigene Brille zu sehen oder das eigene Gefühlsleben auf der Leinwand auszubreiten - schien ausgereizt. Richter gilt heute als derjenige, der der Malerei doch wieder eine neue Bedeutung gegeben hat.

Er belebte altbekannte Genres neu: Landschaften, Seestücke, Porträts, Aktbilder, Stillleben – wie die „Kerze“ – oder auch Historienbilder: Beispiele dafür sind sein RAF-Zyklus oder sein Gemälde zum 11. September.

„Seine Wolkenbilder erinnern sogar an religiöse Malerei, da fehlen eigentlich nur noch die Engelchen“, meint Wenzel. „Richter hat das alles wieder aufgegriffen, aber eben ganz anders als vorher.“ Viele seiner Gemälde sind verwischt und erscheinen diffus. Damit wendet er sich gegen die scheinbare Objektivität der Fotografie. Fotos können ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermitteln: So ist die Wirklichkeit und nicht anders. Richter meint: „Wir sehen doch nur, wie es unser Linsen-Apparat Auge zufällig vermittelt.“ Ein bekannter Ausspruch von ihm lautet: „Alles sehen, nichts begreifen.“

Die Menschen des 21. Jahrhunderts wissen so viel wie nie zuvor, aber nur wenige würden wohl für sich in Anspruch nehmen, die Welt durchschauen zu können. Richter kann es auch nicht. Wenn man ihn fragt, was er dem Betrachter mit seiner Kunst sagen will, pflegt er zu antworten: „Gar nichts.“ Und doch: Seine Malerei ermutigt dazu, genauer hinzusehen.

Ein Vorbild für viele jüngere Künstler wurde Richter dadurch, dass er sowohl gegenständlich als auch abstrakt malt. In den 60er Jahren war das undenkbar – abstrakte und realistische Maler standen sich geradezu feindselig gegenüber. Heute gilt auch dank Richter: alles geht. „Es gibt für mich keinen Unterschied zwischen einer Landschaft und einem abstrakten Bild“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Bei einem gegenständlichen Bild male ich den Anblick einer vorhandenen Sache, bei einem abstrakten formt sich allmählich das Bild einer Landschaft, die ich nicht kenne. Aber die Mittel sind die gleichen.“

Jeden Tag steht er Stunden in seinem Atelier, einem bunkerähnlichen Riegelbau im Kölner Villenviertel Hahnwald. An jedem Werk tüftelt er lange herum. So besteht sein Fenster für den Kölner Dom aus 72 Farbtönen, deren Anordnung von einem Zufallsgenerator zusammengestellt worden ist. Richter beließ es nicht dabei. Nach langem Probieren entschied er sich dafür, nur die eine Hälfte des Fensters vom Rechner auszulosen, die andere aber zu spiegeln. Das Ergebnis überzeugt auch Skeptiker. An einem sonnigen Tag wirft das Fenster ein wunderbares Farbenspiel auf die Mauern und Säulen der Kathedrale.

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