Der Reiz des Bösen

Tue Grausames und schreibe darüber: Wie Täter ihre Verbrechen medial vermarkten
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Tue Grausames und schreibe darüber: Wie Täter ihre Verbrechen medial vermarkten

Josef F. sitzt noch nicht mal richtig hinter Gittern, schon hat die Jagd auf seine Story begonnen. Der Wiener Medien-Unteehmer Michael Leidig versucht, über den Anwalt von Josef F. ein Gespräch mit dem Inzestvater zu vermitteln und bestreitet zugleich, dafür eine Million Euro geboten zu haben. Die Zeit drängt: Nach Ansicht von Medienpsychologen wird das Interesse an der Story nach dem Urteil rasch nachlassen. F. will sich der Wissenschaft zur Verfügung stellen, um „das Böse im Menschen“ zu studieren. Aber auch seine Version der Dinge möchte er vermarkten – angeblich zum Nutzen der Tochter und der gemeinsamen Kinder. In Deutschlang gibt es seit 1998 ein Gesetz, das Opfern einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus Medienhonoraren zugesteht.

Hier einige spektakuläre Fälle aus der Vergangenheit:

Dagobert

Arno Funke alias Dagobert erpresste 1992 spektakulär den Karstadt-Konzern und narrte die Polizei mit ungewöhnlichen Geldübergabe-Methoden. Später schrieb er darüber ein Buch. Geblieben ist ihm von den Einnahmen nach eigenen Angaben nichts: Er hatte noch Anwalts- und Prozesskosten in Höhe von 75000 Euro zu bezahlen.

Der Kannibale

Armin Meiwes, der „Kannibale von Rotenburg“, brachte 2001 einen Mann um und verspeiste einige seiner Körperteile. Er verkaufte seine Geschichte für eine unbekannte Summe an den „Stern“. 2006 sollte der amerikanische Horrorfilm „Rohtenburg“ in deutsche Kinos kommen. Meiwes klagte erfolgreich dagegen. Ihm sei es bei der Klage nicht um Geld, sondern um eine wahrheitsgemäße Darstellung gegangen, sagte sein Anwalt. Meiwes habe Angebote in der Höhe mehrerer hunderttausend Euro verschiedener Hollywood-Firmen abgelehnt und die Medienrechte für eine unbekannte Summe an die Hamburger Produktionsfirma Stampfwerk verkauft.

Charles Manson

Weil er keinen Plattenvertrag bekam, rächte sich Charles Manson an der Unterhaltungsindustrie. Sein prominentestes Mordopfer wurde 1969 die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate mit ihren vier Gästen in der Villa des Regisseurs Roman Polanski. Mit dem Blut der Opfer schmierte Manson das Wort „Pig“ an die Haustür. Bis heute glauben vor allem junge Menschen in den USA an seine Unschuld. Besonders die Musikszene fühlt sich zu ihm hingezogen. Guns N’Roses nahmen einen Manson-Song auf, der Rocker Marilyn Manson wählte den Namen, um das schöne und hässliche Amerika zu vereinen. Der heute 74-jährige Häftling mit dem eintätowierten Hakenkreuz an der Nasenwurzel verdient nur moralisch an seinem Ruhm: Er erhält mehr Verehrerpost als jeder andere Gefängnisinsasse Amerikas und ist das klassische Beispiel für einen Verbrecher, der durch die mediale Vermarktung zum Vorbild wurde.

Weitere Fälle

Der Oetker-Entführer bot seine Geschichte lange gegen Geld an, obwohl die Oetkers jede größere Summe bei ihm pfänden dürfen. 1997 erschien ein über 700-seitiges Buch der Journalistin Nicole Amelung nach Interviews mit dem Entführer. Ein großer Erfolg wurde es nicht. Der dreifache Frauenmörder Thomas Holst verliebte sich in seine Therapeutin und verkaufte die Hochzeit mit ihr exklusiv an RTL - 60000 Euro sollen geflossen sein. Der Kreml-Flieger Matthias Rust stach eine 18-jährige Krankenschwester nieder und heiratete noch vor Haftantritt beim Pay-TV Sender Premiere für ein angebliches Honorar von 55000 Euro.

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