Der Regent in seinem Märchenlabyrinth
Horst Seehofer kommt in einer vierspännigen blauen Kutsche angefahren. Das Modell ist nicht annähernd so protzig wie der goldene Galaschlitten des Königs, der gleich nebenan, im ersten Stock der Ausstellung, zu besichtigen ist. Dafür stehen die Gebirgsschützen ordentlich Spalier, und die Ehrengäste nippen ehrfürchtig am Sekt, während der Ministerpräsident seehofermäßig lächelnd die Formation abschreitet, vorbei an den barbusigen Brunnen-Göttinnen vor dem Schloss.
Ein bisschen monarchisches Zeremoniell möcht’ schon sein bei der Eröffnung einer bayerischen Landesausstellung, die sich Ludwig II widmet und auf der Insel Herrenchiemsee inszeniert wurde – in dem Königsschloss, das Versailles nachempfunden ist. Gut, zum Sonnenkönig reichte es bei Ludwig nicht, und schon gar nicht bei Seehofer, aber egal, an diesem Vormittag verschwimmen Wunsch und Wirklichkeit. Da dürfen sich demokratische Politiker auch mal schnell wie absolutistische Herrscher fühlen und Besucher wie der Hofstaat eines Märchenkönigs.
Überhaupt ist das alles im Grunde zu schön, um wahr zu sein. Wer morgens an der Seepromenade in Prien ankommt und das Schiff auf die Insel besteigt, kann es kaum fassen, so unwirklich bilderbuchbayerisch wirkt die Szenerie: Von fern grüßt die Kampenwand aus dem Morgendunst, das Wasser glitzert, am Ufer stehen die Waggons der historischen Chiemseebahn, und wie sich’s gehört, flattert eine weißblaue Bayernfahne auf dem Dach einer Schiffsreederei. Kann es eine bessere Kulisse geben für eine Ausstellung, die sich einem Mann widmet, der wie kein zweiter das personifizierte Bayernklischee bedient? Dessen Scheinwelt bis heute die irrsten Visionen befeuert?
Es ist eine exzellente Idee der Ausstellungsmacher von der Bayerischen Schlösserverwaltung und dem Haus der Bayerischen Geschichte, diese Schau nicht etwa in den Prunkgewölben von Herrenchiemsee zu installieren. Sondern in den bisher nicht zugänglichen Rohbau-Räumen des Schlosses: rohe Ziegelwände, schmucklos und in ihrer Schlichtheit der größtmögliche Kontrast zum Versailler Prunk. Vielleicht auch ein Symbol für das Scheitern König Ludwigs II: Hier ist das Märchen zu Ende.
Die „Götterdämmerung”, so der Titel der Ausstellung, führt die Besucher in einem faszinierenden Trip durch das Leben des Königs, sie spielt mit dem Mythos Ludwig und stellt gleichzeitig die Realität unverblümt dar. Die Exponate werden regelrecht inszeniert, Videoschnipsel, Wandprojektionen, ein Spiegelkabinett – die überbordende Fantasie, die Wahnwelt Ludwigs spiegelt sich in der Machart der Schau. Das ist an den meisten Stellen hochspannend, manchmal wirkt es auch überladen. So steht das Prunkbett des Königs, das einer ausladenden Präsentation bedurft hätte, eingezwängt in einer Ecke. Andere Glanzstücke, etwa der berühmte beleuchtete Schlitten, sind so effektvoll in Szene gesetzt, dass man meint, Ludwig in seinem schwarzen Mantel durch den Wald rauschen zu sehen.
„Götterdämmerung” ist als eine Art Königsdrama in fünf Akten aufgebaut. Es beginnt mit dem jungen Ludwig, wie er dandyhaft posiert. In einem riesigen goldenen Rahmen ist das berühmte Bild von Ferdinand Piloty zu sehen: der bildschöne König im Hermelinmantel, eine Ikone, die längst zum Inventar der Popkultur avanciert ist. Dazu sieht man Ludwig als kitschträchtige Filmfigur, dargestellt von O. W. Fischer und Helmut Berger – und als Kontrast die Bilder eines nachdenklichen jungen Mannes, der schon mit 18 Jahren an die Regierung kam.
Klischee und Wirklichkeit – das ist das große Thema dieser Schau. Dafür setzen die Macher alle multimedialen Mittel ein. Im Kapitel über Politik und Krieg kontrastieren sie ein offizielles heroisches Schlachtengemälde mit Aufnahmen von zerstörten Städten aus Frankreich mit dem Elend des Krieges. Die begleitenden Texte sind nicht so trocken-betulich, wie man das aus anderen Ausstellungen kennt. Manches kommt sogar etwas flapsig daher: „Verstaatlichung war angesagt.”
Besonders eindrucksvoll gelingen die Passagen über die Königsschlösser: Wie sich Ludwig in die Welt der Ritter und mittelalterlichen Burgen hineinträumte, wie er später Ludwig XIV. verehrte und wohl auch beneidete (der Sonnenkönig hatte keine nervenden Minister) – all das wird plastisch. Burg Falkenstein, Ludwigs durchgeknallte Vision einer idealen Burg, erscheint als 3-D-Projektion. Auf Entwürfen ist zu sehen, dass er sich sein Schlafzimmer als eine Art byzantinischen Kirchenraum vorgestellt hat. Und auch das Ende des Königs im Starnberger See ist originell aufbereitet: Die Ausstellung bietet verschiedene Versionen an – Selbstmord? Mord? – und stellt sie zur Diskussion.
„Götterdämmerung” ist eine hervorragend gemachte Ausstellung, die zurecht viele Zuschauer anziehen wird. Eine Schau, die es in ihrer Komplexität schafft, dem Bild dieser schwierigen Persönlichkeit gerecht zu werden. Der Faszination Ludwigs II kann sich nun mal keiner entziehen. Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz sagt Finanzminister Georg Fahrenschon staatstragend und ohne einen Hauch von Ironie: „Ganz Bayern ist König Ludwig II zu Dank verpflichtet!” Da applaudieren sogar die Journalisten eines demokratischen Freistaats.