Der Pop vor 70 Jahren
Annette Humpe, die schon die Deutsche Welle mitritt und Hits für die Prinzen schrieb, hat sich für Max Raabe ans Klavier gesetzt und mit ihm das Album „Küssen kan man nicht alleine“ gemacht
Sie ist die Königin des Pop, feierte Erfolge mit „Ideal“ und „Ich + Ich“. Er ist der König des Chanson, ließ den Glanz der 20er und 30er auferstehen und machte einen Kaktus berühmt. Jetzt haben Annette Humpe und Max Raabe gemeinsam das Album „Küssen kann man nicht alleine“ produziert. 12 selbst geschriebene Titel, alle erzählen eine Geschichte, viele handeln von Liebe. Geschmeidiger Orchesterpop, den Raabe demnächst auch live ins Repertoire aufnimmt. „Was ich bisher gemacht habe, ist auch Popmusik, nur 70 Jahre alt“, sagt der Sänger. Die Frage war: „Wie würde man mit der stilistischen Haltung der 20er und 30er Jahre heute Popmusik machen?“
AZ: Herr Raabe, wie kam es zur Zusammenarbeit mit Annette Humpe?
MAX RAABE: Sie wusste, dass ich gerne ein Stück mit ihr machen wollte. Ein Charakterstück über zwischenmenschliche Dramen. Nach unserem ersten Treffen ist aber erst mal längere Zeit nichts passiert. Nach Monaten rief sie mich an: Ich hab’ da eine Zeile für dich. „Küssen kann man nicht alleine“. Sofort war klar: Der Spruch trifft genau meinen Humor. Als wir uns wieder trafen, saß sie am Klavier und spielte die Melodie. Ich sang. Dann flogen die Ideen schon hin und her. Nach einer Stunde war klar, in welche Richtung es gehen würde.
Wie wurde aus einer Zeile eine ganze CD?
Beim nächsten Treffen entstand gleich die nächste Idee, das war „Ich bin nur wegen dir hier“. Langsam wurden wir mutig. Sie sagte: „Lass mal gucken, wie weit wir kommen. Wenn’s was wird, wird’s ein Album. Wenn nicht, haben wir es versucht.“ Und dann ging alles relativ zügig. Im März fingen wir an, im Juli waren alle Songs geschrieben.
Ist man zu zweit kreativer?
Ich kann ganz gut alleine kreativ sein. Aber das Ergebnis wäre ein anderes gewesen. Ich bin viel mutiger gewesen, als ich es bei meinen eigenen Sachen war. Die Texte sind sehr persönlich, ohne autobiografisch zu sein. Es spielt einfach viel von mir hinein. Dazu hat die besondere Atmosphäre beigetragen. Dass man sich so selbstvergessen auf ein Thema stürzt, ohne sich permanent unter Kontrolle zu haben.
Apropos „Küssen kann man nicht alleine“. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kuss?
Das war keine Ruhmestat. Das war eher aus der Gelegenheit heraus und ich dachte, das muss ich jetzt mal ausprobieren. Ich weiß nicht, wie alt ich da war. Es war jedenfalls auf einer Ferienfreizeit auf Sylt. Sie war ein rothaariges Mädchen und saß im rechten Moment an der richtigen Stelle.
Worin liegt die Faszination beim Küssen?
Man merkt gleich, mit wem man es zu tun hat. Wie aggressiv, wie vorsichtig, wie sensibel jemand ist. Küssen ist wie eine erotische Visitenkarte.
Wo wir gerade über Liebe sprechen. Auf Ihrem neuen Album sind viele Liebeslieder.
Wir haben 500 Titel im Programm und ich glaube, 440 davon sind Liebeslieder. Das war nicht so beabsichtigt, liegt aber in der Natur der Sache. „Krise“ ist übrigens kein Liebeslied.
Aber ein sehr versöhnliches.
Am Ende schon. Ich hab’ so gelacht über den Spruch: „Du siehst ganz schön alt aus wie du da stehst, meine Güte, merkt doch jeder, deine Zeit ist längst vorbei.“ Ich hab’ mir vorgestellt, es gäbe wirklich jemanden, der mir das sagt. Solche Selbstgespräche hab’ ich natürlich manchmal morgens beim Rasieren. Aber das ist nicht gerade das, was man von anderen hören möchte.
Haben Sie auch mal schwache Momente, in denen Sie an allem zweifeln?
In dieser Intensität nicht. Ich hab’ auch mal meine kleinen Krisen gehabt, aber nichts, was mich aus der Bahn geworfen hätte.
Das letzte Lied ist ein Schlaflied. Was haben Ihre Eltern Ihnen früher vorgesungen?
Meine Oma hat mir oft Geschichten vorgelesen. Mein Vater und meine Mutter haben nicht gesungen. Wir haben gemeinsam gebetet. Das Schlaflied auf dem Album ist durch Zufall entstanden. Annette hat mir was vorgespielt und ich habe dazu eine Art Schlaflied gesungen. Sie meinte: So klingt kein Schlaflied. Aber Stück für Stück ist eins draus geworden.
Welche Musik hören Sie eigentlich privat?
Ich kann zuhause ganz gut gar keine Musik hören. Ich hab’s gerne still, weil ich meistens sowieso Musik im Kopf habe. Was ich mag, ist Kammermusik von Bach.
Vanessa Assmann
CD: „Küssen kann man nicht alleine“ (Universal Music).
Konzert: Max Raabe und das Palastorchester, 20. März, Philharmonie