Der plätschernde Schwan

Ausweitung der Feuchtgebiete: Nach Kriegenburgs nassem „Wozzeck“ am Nationaltheater wässert auch Beverly Blankenship am Gärtnerplatz beim „Märchen vom Zaren Saltan" dekorativ die Bühne. Die Aufführung bietet perfektes Familientheater.
von  Abendzeitung

Ausweitung der Feuchtgebiete: Nach Kriegenburgs nassem „Wozzeck“ am Nationaltheater wässert auch Beverly Blankenship am Gärtnerplatz beim „Märchen vom Zaren Saltan" dekorativ die Bühne. Die Aufführung bietet perfektes Familientheater.

Das Wasser wird gepeitscht und getreten, dass es nur so spritzt. Ein Schwan tanzt plätschernd. Sogar die weiß gekleidete Bevölkerung einer verzauberten Stadt erhebt sich fahnenschwenkend aus Nebelschwaden von Trockeneis über der Planschbeckenbühne des vielgeliebten Münchner Zweitopernhauses.

Nach Andreas Kriegenburgs rundum gelungener „Wozzeck“-Inszenierung im Nationaltheater verheißt auch diese Ausweitung der Feuchtgebiete beträchtliche Musiktheaterwonnen. Die 1900 uraufgeführte Oper des einstigen Seekadetten Nikolai Rimsky-Korsakow hat alles, was ein Märchen braucht:

Eine verzauberte Schwanenprinzessin nebst einem jungen Helden, der eine Stadt samt Jungfrau erlöst, in Gestalt einer Hummel die verleumderischen Schwestern seiner Mutter bestraft und seine Eltern rührend versöhnt.

Ein Triumph des Orchesters

Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Schlaue Lehren für hier und heute lassen sich aus dieser Geschichte nur mühsam ziehen, auch wenn beim Auftritt des Zaren rote Fahnen wehen oder lästige Abweichler von sowjetischen Krankenschwestern mit der Spritze ruhiggestellt werden. Das ist mehr dafür da, damit Erwachsene auch was zu denken haben. Die klar erzählte Inszenierung bezaubert mit fliegenden Boten und Stelzenmännern das Kind im Opernbesucher. Das ist gut so und reicht völlig, weil die Bilder Raum für eigene Fantasien lassen.

Kent Nagano erschien in der „Wozzeck“-Premiere mit hochgekrempelter Frackhose barfuß zum Applaus. Sein Kollege David Stahl trug mit gleichem Erfolg schwarze Gummistiefel. Ein paar eckig gesungene Stellen und etwas dünne Chöre fallen nicht ins Gewicht. In den symphonischen Zwischenspielen lässt das exzellente Gärtnerplatz-Orchester die Klangranken Rimsky-Korsakows mit erlesener Farbigkeit aufblühen. Die beengten Verhältnisse im Graben begünstigten eine leuchtende, bläserbetont-lockere Transparenz.

Mehr als nur der Hummelflug

Die Oper wurde schonend eingedampft. Einwände lassen sich höchstens gegen den Gesang vorbringen. Sandra Moon (Militrissa), Tilmann Unger (Gwidon) und Sibylla Duffe (Schwanenprinzessin) geben ihr Bestes. Dem hellstimmigen Gregor Dalal fehlt es in der Arie des Zaren Saltan nicht nur an Bass-Volumen, sondern auch an der Mischung aus Alters-Sentiment und einstiger Brutalität, die bei dieser Figur schon dazugehören sollte. Unter Russen gilt die Oper mit dem Hummelflug als Werk für Erwachsene.

Die Musik ist farbig und abwechslungsreich. Sie eignet sich auch für ältere Kinder, sofern die sich von Märchen nicht abgeschreckt fühlen. Dass die blassen Übertitel kaum lesbar sind, stört wenig: Es wird nämlich sehr textverständlich gesungen. Wer vorher das als Reclamheft oder im Programm leicht erreichbare Märchen von Alexander Puschkin (vor-) liest, steigert das Vergnügen noch. Die Begeisterung des Premierenpublikums für dieses zauberhaft unterhaltende Familientheater war einhellig.

Robert Braunmüller

Weitere Aufführungen heute, 19.30 Uhr, sowie am 2., 10., 13. und 16. Januar. Karten: Tel. 21 85 19 60.

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