Der neue Sehnsuchtsraum

Sind wir so frei? Tom Tykwers intelligente Beziehungskomödie „Drei“ sprengt das klassische Beziehungskorsett. Der AZ erklärt er, warum das heute so sein muss. Morgen startet sein Film
von  Abendzeitung

Sind wir so frei? Tom Tykwers intelligente Beziehungskomödie „Drei“ sprengt das klassische Beziehungskorsett. Der AZ erklärt er, warum das heute so sein muss. Morgen startet sein Film

In „Drei“, seinem ersten deutschsprachigen Film seit zehn Jahren, spielt Tom Tykwer souverän mit Beziehungsmustern. Ein großstädtisches Heteropaar (Sophie Rois, Sebastian Schipper) verliebt sich unabhängig voneinander in den selben Mann (Devid Striesow) und erlebt neuen Schwung im Sexleben.

AZ: Herr Tykwer, gibt es die Zweierbeziehung noch?

TOM TYKWER: Der Film erzählt doch von einer glücklichen Zweierbeziehung. Das Paar ist aufeinander bezogen, redet noch gerne miteinander und streitet sogar noch gerne. Insofern ist das eine ausgesprochen gelungene Beziehung. Deswegen ist es um so interessanter, dass die beiden in unvermeidliche Konflikte geraten, wenn die Zeit ins Land geht und man sich auf eine bestimmte Weise aneinander gewöhnt hat, einander angleicht und etwas geschwisterlich zueinander gerät. Dann fehlen ein paar Neugieraspekte und Spannungsmomente, Erotikoptionen. Die verleiten dazu, sich umzuschauen.

Sorgt der „Seitensprung“, der oder die Dritte für neuen Kick in der Partnerschaft?

Man kann auch nach Australien reisen. Aber es machte Spaß zu zeigen, was passieren kann, wenn zwei Menschen, die sich so ähnlich geworden sind, sich in jemanden verknallen, der das Andere, das Fremde, das Nichterfüllte verkörpert. Die Figur mit einem anderen Hintergrund und einer gewissen Geheimnishaftigkeit eröffnet einen Sehnsuchtsraum, der für beide gleichermaßen Gültigkeit hat. Ob das der beste Weg ist, eine Beziehung auf die Beine zu bringen, ist die Frage. Der Film zieht daraus jedenfalls eine belebende Wirkung.

War Ihnen eine unterhaltende Komödie nicht genug? Sie bringen noch Themen wie Tod und Krankheit hinein.

Das liegt vielleicht an der Entstehungsgeschichte. Der Film war ursprünglich aus vielen kleinen Fragmenten aus dem Leben einer Zweierbeziehung zusammengesetzt. Nicht Szenen einer Ehe oder Partnerschaft, sondern durchdrungen vom Leben. Eine Beziehung besteht nicht nur aus zwei Menschen, die Zeit miteinander verbringen, sondern auch aus der Zeit, die sie mit anderen Personen teilen. Das Entscheidende an einer Langzeitbeziehung und auch einer der größten Werte ist die gemeinsam erlebte Geschichte, die gemeinsame Erinnerung. Filme sollten der viel wilderen und chaotischen dynamischen Dramaturgie des Lebens folgen, statt immer nur diese Genre-Korsette drüber zu stülpen und damit den Horizont zu verkleinern. Nicht alles sollte dem stromlinienförmigen Erzählen eines Plots unterworfen sein. Tod und Krankheit gehören zum Leben.

Sie scheuen keine direkten schwulen Sexszenen. Gehen Sie da anders heran als an Hetero-Sexszenen?

Nicht wirklich. Für den Film spielt Sex eine große Rolle. Es geht auch um körperliche Anziehungskraft, um Gerüche und Flüssigkeiten, eine unerklärbare Attraktivität des Verführers. Sie kommt aus dem Trieb heraus, was in den Szenen sichtbar werden muss. Wir wollten kein peinliches oder voyeuristisches Gefühl hervorrufen oder Paare beim Leistungssport beobachten. Jede sexuelle Begegnung hat auch mit einer unsicheren Annäherungszärtlichkeit zu tun, mit Umständlichkeiten. Wenn man das erste Mal zusammen nach Hause geht oder sich erstmals küsst, ist das ja schon Sekt oder Selters. Wenn man nicht gut küssen kann, ist die Sache gelaufen, dann kann man direkt wieder nach Hause gehen. Mich nerven diese perfekten Menschen auf der Leinwand, die alles so gut können. Dabei klappt nichts am Anfang, da zieht man den Bauch ein und will nicht, dass der andere alles sieht. Sophie Rois behält immer etwas an, so, als wolle sie sich einen Rest Scham bewahren.

Sie sagen, Ihre Filme hätten eine „biografische Kopplung“. Wo liegt die hier?

Das sind Leute meines Alters, Kulturarbeiter, Menschen, mit denen ich mich gut auskenne. Es gibt auch Situationen, die mir bekannt erscheinen, Motivationen oder Sehnsüchte, die die Figuren antreiben. Die trauen sich den kleinen Schritt mehr, den wir uns oft nicht trauen. Aber die Geschichte habe ich so natürlich nicht erlebt.

Sind Sie der verlorene Sohn, der wieder zum deutschen Kino zurückkehrt oder ist „Drei“ nur eine Zwischenstation zu größeren Projekten?

Der nächste Film muss mich so interessieren, dass er zwei Jahre meines Lebens wert ist. Das entscheide ich nicht in den Kategorien deutsch oder international, klein oder groß. Ich fühle mich wie ein Koch, der viele Töpfe am Brodeln hat: Irgendwann riecht etwas lecker und dann streue ich die letzten Gewürze hinein.

Margret Köhler

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