Der neue "Figaro" am Gärtnerplatz
Nach dem Aufstehen schlurft Figaro erst einmal in Unterwäsche zum Kühlschrank und holt sich was zu trinken. Ein alltäglicher Vorgang, den das Publikum im Gärtnerplatztheater aus dem eigenen Leben kennen dürfte - nur, dass da der Wecker nicht nach einer turbulenten Ouvertüre losrasselt.
Während Susanna, die ebenfalls aus den Federn muss, sich als Zofe zurechtmacht (Kostüme: Thomas Kaiser), misst der Diener, wie es das Libretto der Oper "Le nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart vorschreibt, mit dem Meterstab das neue Dienstzimmer aus. Dessen Wände sind wasserfleckig, möbliert ist es nur spartanisch, die Matratze ruht auf Holzpaletten, erst der Chor bringt einen Lattenrost (Bühne: Johannes Leiacker, Chöre: Dovile Siupenyte). Dennoch erinnert das improvisierte Schlaf- und Beischlaflager Figaro, der in Gestalt von Levente Páll zunächst einen lukullisch satten, wie von selbst parlierenden Bariton hat hören lassen, sogleich an die ehebrecherischen Absichten seines Herrn. Die bedrohliche Entschlossenheit, die Páll dann in sein gesungenes Tänzchen legt, ist echt.
Thematisch passend, ist das Bett eines der Leit-Requisiten der Neuinszenierung von Josef E. Köpplinger, wie der Kühlschrank. Und wie immer kann man sich beim regieführenden Intendanten darauf verlassen, dass die Ausstattung ausgenutzt wird: So wird sich Cherubino, den Anna-Katharina Tonauer mit ihrem cremig locker tupfenden Mezzosopran so wunderschön singt, wie sie ihn chaplinesk komisch spielt, das vom Grafen versohlte Hinterteil am Eisfach kühlen.
Mit seinem heldisch hellen Bariton legt Ludwig Mittelhammer den Almaviva so aufbrausend an, platzt übrigens bei Phrasenenden auch etwas zu oft arg naturalistisch heraus, dass man dem verhauenen Knaben die Linderung von Herzen gönnt. Auch, wenn die Komödienhandlung angenehm intakt bleibt und so im Vergleich zu mancher schwer konzeptionellen Inszenierung gut zu verfolgen ist: Ein wenig harmlos ist Köpplinger, der immerhin schon einmal eine Operette in einem tristen Häftlingslager spielen ließ, dieser Figaro schon geraten, zumal die Gagdichte zum 3. und 4. Akt hin abnimmt.
Dass in diesem Stück das Feuer der Revolution glüht, und zwar nicht nur untergründig, teilt sich nur musikalisch mit. Rubén Dubrovsky, ab Herbst neuer Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters, gibt eine Art vorgezogenen, fulminanten Einstand. Mit dem Orchester hat er ernsthaft gearbeitet: Die Streicher schalten bei Begleitfiguren nicht auf Autopilot, sondern artikulieren auch virtuos wirbelnde Passagen messerscharf, die Holzbläser sind durchgehend reliefartig präsent, die Hornisten genießen den unwiderstehlichen Obertonreichtum ihrer Naturinstrumente.
Dubrovsky muss die Partitur noch einmal genau durchgegangen sein, so plastisch dreidimensional erscheint sie im Raum. Nie ist das Orchester bloß akustische Kulisse, sondern es bildet eine eigene Welt aus, ja, wird zu einer eigenständig handelnden Person. So muss es bei Mozart sein.
Spontan ist Rubén Dubrovsky auch noch. Als Ana Maria Labin als Gräfin in ihrer "Dove sono"-Arie ihren Sopran in ein überirdisches, dabei fabelhaft von Körperspannung getragenes Piano zurückführt, reagiert er augenblicklich richtig und dämpft das Orchester um einige Grade ab. Die gebürtige Rumänin, die mit dieser Produktion am Haus debütiert, ist eine ideale Gräfin, melancholisch angehaucht, doch nicht zu wehmütig.
Anzuhören ist ihr noch, dass sie einmal eine freche Rosina gewesen ist, ähnlich, wie Anna Agathonos die Marcellina bei aller Komik nicht charakteristisch einseitig, sondern mezzosopranistisch attraktiv singt. Und Sophie Mitterhuber kann ihren zierlichen, beweglichen, von einem heimlichen Vibrato belebten Sopran ungeahnt resolut verdichten - wenn sie will. Diese Susanna, so spürt man, wird ihrem Figaro rechtzeitig die Ohren langziehen, damit er nicht zu einem neuen Almaviva wird und ihr das Schicksal der Gräfin erspart bleibt.
Weitere Vorstellungen am 2., 7., 9., 13, und 16. Juli im Gärtnerplatztheater. Karten unter www. staatstheater-tickets.bayern.de.