Der „Music-Man“ geht
Er hat den deutschen Rock-Journalismus geprägt wie kaum ein zweiter – doch jetzt hat Bernd Gockel genug von dem Geschäft
Die größten deutschen Musikmagazine stehen vor einem Umbruch. Der Springer-Verlag ordnet seine Titel „Rolling Stone“, „Musikexpress“ und „Metal Hammer“ neu und holt die Redaktionen aus München nach Berlin. Dies nutzt einer der erfahrensten deutschen Musikjournalisten zum Ausstieg als „RS“-Chefredakteur: Bernd Gockel. Der 59 Jahre alte Gründer des deutschen „Rolling Stone“ lebt in München und in den USA. Die AZ fragte ihn, ob der Musikjournalismus überhaupt noch eine Zukunft hat.
AZ: Herr Gockel, wie tot sind Pop und Rock?
BERND GOCKEL: Gar nicht, es gibt heute viel mehr interessante Musik als vor 30 oder 40 Jahren. Von älteren Hörern wird das oft anders empfunden, weil sie in Radio oder TV nichts davon mitbekommen. Der Anteil des Musik-Schrotts ist gleichzeitig natürlich ungleich schneller gewachsen; da gehen die guten Sachen leicht unter. Außerdem erlebt man Musik nun einmal viel intensiver, wenn man jung ist. Das hat meine Generation der 68er sicher besonders geprägt, weil Musik damals diese vermeintlich revolutionäre Aura hatte.
Der Markt schrumpft – wird es bald gar keine Musikmagazine mehr geben? Oder alles nur noch online?
Ich glaube, dass sich das Zeitschriftensterben in den nächsten Jahren nochmal beschleunigen wird. Andererseits sollte man die Todesgesänge auch nicht zu früh anstimmen. Mir gibt Hoffnung, dass ich bei unseren Praktikanten sehe, dass junge Leute tatsächlich wieder anfangen, Vinylschallplatten zu kaufen.
Ein Hoffnungsschimmer für Musikjournalisten?
Absolut! Die jungen Musikfans haben irgendwann gemerkt, dass es sich lohnt, nach Tiefe und Inhalt zu suchen, die die neuen Medien nicht bieten. Und wenn in einigen Jahren vielleicht wirklich mal der Großteil der Magazine gestorben sein wird und der Leser vor dem leeren Kiosk steht, dann könnte der eine oder andere sich fragen: „Moment, da war doch mal was?“
Und dann kommt der Retro-Journalismus?
Ich würde es lieber eine Art Renaissance nennen. Natürlich kann es nie wieder wie früher werden, die goldenen Zeiten sind vorbei. Aber in einem überschaubaren Segment könnte das funktionieren: kleine, liebevoll gemachte Magazine in thematischen Nischen, fast so wie die versprengten Buch-Liebhaber in Truffauts „Fahrenheit 451“. Ich würde aber nicht Haus und Hof darauf verwetten, dass es wirklich so kommt.
Es klingt nicht so, als ob Ihr Abschied Sie besonders traurig stimmen würde?
Das ist richtig, ich habe fast 30 Jahre diesen Job gemacht, ein Ausstieg hat auch etwas Erleichterndes. Und das Arbeiten ist wirklich schwieriger geworden, insbesondere bei der Frage der Abhängigkeit von den Anzeigen.
Hat die Redaktion ihr Primat verloren?
Da hat es sicher eine Verschiebung der Gewichte gegeben, bei der die Redaktionen die Leidtragenden sind.
Sie können doch jetzt völlig frei reden: Wie viel Korruption steckt heute im Musikjournalismus?
Tendenziell hat es sicher zugenommen, man bekommt immer unsittlichere Angebote, keine Frage. Ich denke aber, dass wir hier in der „RS“-Redaktion alle noch in den Spiegel schauen können. Wir haben immer einen klaren Strich gezogen und gesagt, was wir im Heft haben wollen und was nicht.
Haben Rock und Pop überhaupt noch etwas Rebellisches?
Natürlich nicht. Rock ist von den Medien aufgesaugt und kommerziell plattgetreten worden.
Was bedeutet es nun, wenn ein bekennender Neoliberaler, nämlich der stellvertretende Chefredakteur der „Wams“, Ulf Poschardt, den „Rolling Stone“ als Herausgeber übernimmt?
Das erklärt sich, wenn ich den Hintergrund schildere: Vor anderthalb Jahren haben sich der „Springer“-Vorstand Mathias Döpfner und Jann Wenner, der Herausgeber des amerikanischen „Rolling Stone“, kennengelernt; ich traf sie Ende letzten Jahres in Berlin. Wenner schwebte immer vor, den deutschen „RS“ stärker an politischen und gesellschaftlichen Themen auszurichten – so wie es beim amerikanischen „RS“ zumindest früher einmal der Fall war.
Aber das geht mit Ihnen nicht?
Der deutsche „Rolling Stone“ ist so, wie er von mir vor 15 Jahren gegründet wurde, eindeutig musiklastiger. Es gab damals ja auch überhaupt keinen Anlass zu vermuten, dass die Musikszene dermaßen den Bach runter geht, wie das seit einigen Jahren passiert. Ich bin mein Leben lang immer ein Music-Man gewesen. Meine einzige politische Kompetenz besteht darin, dass ich vor 40 Jahren Johannes Rau auf dem Barmer Rathausplatz die Hand geschüttelt habe. Ein politisch orientiertes Magazin ist nicht mein Ding.
Ist Poschardt vielleicht sogar der neue Rock-Revoluzzer?
Er hatte vor vier Jahren ja mal die These veröffentlicht, dass Avantgarde und Pop nicht mehr links sein könnten, sondern FDP wählen müssten. Er fand das herrlich, weil sich alle echauffierten. Eine gezielte Provokation kann durchaus spannend sein.
„Springer“ ist für viele immer noch Reizwort. War der Wechsel zum Verlag der „Bild“-Zeitung vor sieben Jahren für den „RS“ der Sündenfall?
Ich stamme zwar aus der 68er-Generation, aber ich war doch überrascht, dass der Name Springer für einige unserer Leser noch immer ein rotes Tuch war. Aber so groß der Aufschrei war, so schnell war er auch wieder vorbei. Denn das unabhängige Arbeiten war hier immer gewährleistet.
Dabei ist der „Rolling Stone“ doch selbst konservativ.
Richtig. Wir waren immer von Herzen eine leseintensive Zeitung, die keinen modischen Firlefanz mitmachen wollte. Wir waren gegen den Häppchenjournalismus, den „Focus“ damals auf den Markt brachte. Es hat mich allerdings schon geärgert, wenn wir oft als Althippie-Blatt beschimpft wurden, obwohl wir immer versucht haben, die Balance zwischen neuen Bands und alten Heroen zu finden.
Was ist der passende Song zu Ihrem Abschied?
Da müsste ich aber lange nachdenken...
Vielleicht was von Dylan?
Um Gottes Willen. Ich bin ein unsentimentaler Mensch, also bitte keine Symbolschwängerei. Dann schon lieber etwas Sinnfreies wie „Da Da Da“ von Trio. Ich werde mir auch keinen Song für meine Beerdigung aussuchen.
Michael Grill