Der Milliardenmarkt der Kunstkriminellen

Bilder, Reliefs, Ikonen. Es gibt nichts, was sich nicht versilbern lässt. Auf sechs Milliarden Euro schätzt das amerikanische FBI den Kunst-Schattenmarkt. Immer größere Werte, immer höhere Versicherungssummen - und immer dreistere Diebstähle.
von  Abendzeitung

Bilder, Reliefs, Ikonen. Es gibt nichts, was sich nicht versilbern lässt. Auf sechs Milliarden Euro schätzt das amerikanische FBI den Kunst-Schattenmarkt. Immer größere Werte, immer höhere Versicherungssummen - und immer dreistere Diebstähle.

Dass Museen so gefährdet seien wie Banken, allerdings viel schlechter gesichert, kritisierte die „Neue Züricher Zeitung“ schon vor Jahren. In den letzten Tagen hat sich dieser Satz tragisch bewahrheitet. Letzten Donnerstag wurden zwei Picasso-Gemälde aus dem Seedamm Kulturzentrum in Pfäffikon gestohlen, wenige Tage danach wurde die Schweiz vom spektakulärsten Kunstraub der letzten Jahrzehnte erschüttert. Drei bewaffnete und maskierte Täter hatten am Sonntag aus dem Museum der Sammlung Bührle im Nobelvorort Seefeld vier berühmte Ölgemälde im Wert von umgerechnet 113 Millionen Euro gestohlen.

Bei den Werken handelt es sich um Claude Monets „Mohnfeld bei Vétheuil“, Edgar Degas' „Ludovic Lepic und seine Töchter“, Vincent van Goghs „Blühender Kastanienzweig“ und Paul Cézannes „Der Knabe mit der roten Weste“.

Der Wert der großen Sammlungen steigt rasant

Innerhalb von nur drei Minuten hatten die Täter die Bilder abgehängt und mitgenommen. Sie flüchteten in einem weißen Auto, auf das sich derzeit die Fahndung konzentriert. Für Hinweise zur Ergreifung der Täter wurde eine Belohnung von umgerechnet 62500 Euro ausgesetzt. Ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen gibt, es derzeit noch unklar.

Wundern kann die wachsende Kriminalität auf dem Kunstmarkt eigentlich nicht. Im Halbjahresrhythmus melden die großen Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s Rekordzahlen. Der Wert von großen Sammlungen steigt rasant. Es geht um viel Geld – und das finden eben nicht nur Kunstfreunde anziehend.

Es gibt nichts, was sich nicht versilbern lässt

Auf unglaubliche sechs Milliarden Euro schätzt das amerikanische FBI den Kunst-Schattenmarkt – jährlich! Es gibt nichts, was sich nicht illegal im Westen versilbern lässt: Tempelreliefs aus Kambodscha, Ikonen aus russischen Klöstern und alles, was in Italien, Lieblingsrevier der Kunsträuber, schlecht gesichert oder nicht einmal katalogisiert ohne großen Aufwand zu entwenden ist.

Doch der Raub der sechs Gemälde wirft Fragen auf: „Es handelt sich um Kunstikonen, die nicht auf dem offenen Markt angeboten werden können“, sagt Charles Dupplin, von der Kunstversicherung Hiscox in London. Nicht jetzt und nicht in ein paar Jahrzehnten.

170.000 Gegenstände in der größten Kunstdatenbank

Dafür sorgt auch das Art Loss Register (ALR), die größte Kunstdatenbank. Über 170000 Gegenstände sind hier registriert, vom Silberbesteck für einige tausend Euro bis hin zum Gemälde in Millionenhöhe, darunter allein über 400 Picassos. Art Loss Register durchsucht beispielsweise vor Auktionen die Kataloge und gleicht sie mit den eigenen Daten ab.

Rund 40 Fälle von falschen Eigentumsverhältnissen lassen sich so pro Jahr aufklären, sagt Ingrid Blom-Böer vom Kölner Büro des international agierenden ALR. Doch über mögliche Motive der Kunsträuber in der Schweiz kann sie nur Vermutungen anstellen: „Ein einheitliches Täterprofil gibt es bei Kunstraub ohnehin nicht. Die Gründe sind so individuell wie die Menschen“, sagt Blom-Böer. Plausibel erscheinen ihr Spekulationen, die Gemälde könnten als Sicherheit für Drogen- oder Waffengeschäfte entwendet worden sein. Dann wären sie sicher für eine lange Zeit nicht wiederzubeschaffen.

Der bislang spektakulärste Erfolg des Art Loss Registers war der Fund des Gemäldes „Zinnkrug mit Früchten“ von Paul Cézanne. Der Amerikaner Michael Bakwin ließ das 1978 gestohlene Bild erst 1998 registrieren – 20 Jahre nach dem Raub. Die Kölner Organisation fand das Gemälde ein halbes Jahr später bei einem Schweizer Händler wieder. 1999 erzielte das Stillleben bei Sotheby's dann den stattlichen Preis von 60Millionen Dollar.

Chancenlos gegen Waffengewalt

Auch in der Kunststadt München bleiben die Schweizer Fälle nicht unbeobachtet. „Es schockt natürlich, mit welcher Brutalität die Täter vorgegangen sind“, sagt Tina Nehler von der Pinakothek der Moderne. „Unser Museum hat mit Kameras, einem elektronischem System und den Wächtern einen hohen Sicherheitsstandard, aber kein Museum der Welt kann gegen Kriminelle mit Waffengewalt etwas ausrichten.“

Ein noch größeres Problem als die Sicherheit stellt für die Museen inzwischen die Versicherung von Ausstellungen dar. Explodierende Kunstpreise ziehen immer höhere Kosten nach sich. Chris Dercon, Chef im Münchner Haus der Kunst, beklagt, dass der Freistaat Bayern eine Staatshaftung ablehnt: „Wir können gar keine Blockbuster- Ausstellungen machen – weil wir die Versicherungen nicht mehr bezahlen können.“

Volker Isfort

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