Der Messias als Kritiker

Die Philharmoniker feiern den 100. Geburtstag von Olivier Messiaen mit drei Konzerten. Den Auftakt macht Kent Nagano, der den Komponisten selbst gut kannte.
von  Abendzeitung

Die Philharmoniker feiern den 100. Geburtstag von Olivier Messiaen mit drei Konzerten. Den Auftakt macht Kent Nagano, der den Komponisten selbst gut kannte.

Wenn Kent Nagano am Wochenende mit den Münchner Philharmonikern und dem Pianisten Marino Formenti „Des canyons aux étoiles“ gestaltet, begeht er den 100. Geburtstag von Olivier Messiaen. Dem 1992 verstorbenen Komponisten verdankt Nagano den Beginn seiner Weltkarriere: 1983 hatte Messiaen dem Dirigenten Seiji Ozawa empfohlen, sich für die Uraufführung der Oper „Saint François d’Assise“ von Nagano assistieren zu lassen.

AZ: Herr Nagano, wer war Messiaen?

KENT NAGANO: Er zählte zuforderst zu den außergewöhnlichen Menschen, die fähig waren, seine und die nachfolgenden Generationen zu inspirieren und zu beeinflussen – und zwar gleichermaßen als Komponist, Professor und Musiker. Auch ich selbst zähle mich zu seinen Studenten.

Warum?

Weil Messiaen eine zentrale Rolle in meiner persönlichen Entwicklung spielte. Als er und seine Ehefrau – die Pianistin Yvonne Loriod – mich 1983 zu sich nach Paris einluden, wo ich für ein Jahr lebte, habe ich nicht nur die Uraufführung der Oper „Saint François d’Assise“ vorbereitet: Durch den Aufenthalt kam ich erstmals in direkten Kontakt mit dem europäischen Kulturerbe. Als Amerikaner hatte ich es nur von außen studiert. Messiaen und Loriod, bei der ich in Paris Klavierunterricht nahm, haben mir Türen geöffnet. „Wir sind deine europäischen Eltern“, scherzte Loriod. Sie hatte Recht.

Wie kam es zu der Einladung?

Als ich 1978 beim Berkely Symphony Orchestra erstmals als Musikdirektor anfing, wollten wir einen Messiaen-Zyklus realisieren. Das war sehr aufregend, Messiaen war damals in der Gegend um San Francisco noch nicht so bekannt. Es gab niemanden, mit dem ich über seine Musik reden konnte. Aus dieser Frustration heraus schrieb ich Messiaen 1979 einen Brief nach Paris mit einem Mitschnitt des ersten Konzerts und bat um eine Kritik.

Wie hat Messiaen reagiert?

Mit einer Analyse über vier Seiten, auf Schreibmaschine geschrieben. Das war eine große Überraschung. Er schrieb mir, wie es besser würde. Das taten wir fortan nach allen Aufführungen. Die Kritiken wurden immer kürzer. Nach der Turangalîla-Sinfonie schrieb Messiaen knapp: Es gebe keine Kritikpunkte mehr. Und er schlug vor, dass wir nun direkt arbeiten sollten. So kam er 1981 mit Loriod nach Berkeley. Wir haben an „La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ“ und an „Des canyons aux étoiles“ gearbeitet.

Was hat Ihnen Messiaen zu „Des canyons aux étoiles“ gesagt, das Sie nun dirigieren?

Es war häufig nicht was er sagte, sondern was er meinte. Bei einer Stelle rief er, er könne die Holzbläser nicht hören. Wir wiederholten die Passage, nun konnte er die Streicher nicht hören – und dann die Blechbläser, die Perkussion und schließlich wieder die Holzbläser. Wir drehen uns im Kreis, dachte ich.

Was folgerten Sie daraus?

Fehlt die richtige dynamische Balance, wird es dick. Es fehlt die Transparenz, Details versickern. Erst mit der richtigen Balance kommt die klangliche und farbliche Flexibilität, das natürliche Farbenspektrum. Es geht bei Messiaen nicht einfach um Farben: Wenn eine Interpretation glückt, erwachsen Schatten. Wenn etwas nur laut oder bombastisch ist, mag es einen Effekt haben, aber die Idee geht verloren.

Haben Sie mit Messiaen auch über seinen katholischen Glauben gesprochen?

Auf Meisterkursen kam ständig die Frage: „Maestro Messiaen, muss man glauben, um Ihre Musik verstehen zu können?“ Er hat eine Frage gerne mit einer anderen beantwortet: „Würden Sie diese Frage Johann Sebastian Bach stellen?“ Wenn er ein Werk beendet hatte, war er der Meinung, dass es durch eine Aufführung neu erschaffen werde. Er hoffte, dass Interpreten ihre Erfahrungen einbringen und eine eigene Sicht entwickeln. Er hat sich und seine Musik nie aufgedrängt.

Marco Frei

Am 21. (20 Uhr), 22. (19 Uhr) und 23. 11. (11 Uhr) im Gasteig. Am 3., 5. und 7. 12. setzt das Orchester seinen Messiaen-Zyklus mit der Turangalîla-Sinfonie unter Jun Märkl fort.

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