Der Mann, der tanzen lässt
Ich bin ein Swing-Heini”, sagt er, und sein Münchner Buben-Lächeln lässt sein Gesicht jung leuchten. Wer nach dem Krieg einen Tanzkurs machte, kennt den Sound von Hugo Strassers Klarinette, verewigt nicht nur in der Reihe „Tanzplatte des Jahres”. Am Samstag wird Deutschlands Swing-Institution 90. Und am Sonntag spielt er mit den Freunden Max Greger (86) und Paul Kuhn (84) in der Philharmonie.
AZ: Herr Strasser, Sie haben während des Krieges begonnen, Klarinette zu lernen.
HUGO STRASSER: 1937 habe ich angefangen zu studieren. An der Akademie der Tonkunst. Ich hatte zwei Jahre Zeit. Dann war ich 18 und bekam einen Stellungsbefehl. Dann war’s aus.
Wie war die Situation während des Krieges in der Swing-Szene?
Erst kurz bevor ich eingezogen worden bin, habe ich das erste Mal in München spielen können. Da gab es einen Bandleader, einen Tenorsaxofonisten, der Hans Rosenfelder hieß. Der hat mich ein bisschen in den Swing eingeführt.
Das berühmte Benny Goodman-Konzert in der Carnegie Hall war 1938.
Davon hatten wir keine Ahnung. Gut, ab 1937 gab es in Deutschland einige sehr gute Bands, die schon geswingt haben. Und dann hat man eben auch Schlager gespielt. Ich erinnere mich gut: Zu „Whispering”, einer amerikanischen Nummer, gab es dann deutsche Texte: „Lass’ mich dein Badewasser schlürfen”. Wir haben auch solche Stücke gespielt. Aber man durfte wegen der Reichsmusikkammer niemals ein Notenblatt herumliegen haben, wo vielleicht „Whispering” draufstand.
1945 kamen Sie aus dem Krieg.
Ich kam im September zurück. Da habe ich schon ein Engagement von Otto Gerd Fischer bekommen, einem damals bekannten Schlagersänger. Der hatte im Oberhaus in Passau eine Band gegründet. Das war von den Amerikanern beschlagnahmt worden. Das war ein Rest Center. Da kamen alle 14 Tage Soldaten, die keinen Heimaturlaub hatten, sondern ihren Urlaub hier verbrachten.
Ist man als Deutscher, der Swing spielt, akzeptiert worden?
Sofort. Die GIs der ersten Stunde waren lauter Supertypen. Da kommt einer: „Hey, you play music by Richard Wagner?” Ich wusste gar nicht, was der meint: „No, we can’t play this kind of music.” Da sagt er: „Okay, I’ll buy you a beer. Then play ,Lilly Marleen’.” Wir haben Sachen erlebt! Raufereien unter den Soldaten, wenn sie besoffen waren, und die Fräuleins waren da... Um Gottes Willen!
Sie haben sich auch durch Münchens Nachtclubszene gespielt.
Das kam später. Mit dem Greger habe ich im Kellerclub gespielt, der war nur für Schwarze. Das war ja damals unvorstellbar, die Trennung zwischen Schwarz und Weiß – auch in der Armee.
Das hat man auch in München gemerkt?
Irre. Es konnte kein Schwarzer in einen weißen Club gehen. Der Kellerclub war nur für Schwarze, da konnte einfach kein Weißer reingehen. Den hätten sie umgebracht. Diese Lockerheit, die gab’s erst später. 1948 kam die Währungsreform, und dann kam auch das deutsche Publikum. Dann haben wir auch die deutschen Schlager gespielt. Natürlich hatte man auch die musikalischen Informationen durch AFN über Bands wie Count Basie.
Musik lief nicht vorrangig über Platten, sondern über den Rundfunk?
Viel über AFN. Das war die Basis. Und wir haben ja auch im AFN gespielt.
Wo war der Sender?
In der Kaulbachstraße. Im ersten Stock. Wir hatten da einen Sergeant. Das war ein irrer Typ. Bei dem ging immer alles um den Payday. In den Clubs wurde uns immer Bier ausgegeben. Allerdings: In den letzten Tagen, wenn sie kein Geld mehr hatten, sind sie zu uns gekommen. Und wir haben denen ein Bier spendiert. Es war eine verrückte Zeit, eine schöne Zeit. Erst hatte man fünf Jahre diese blöde Mütze auf. Und dann ist das alles weg und Amerikaner sind da.
Haben Sie im direkten Kontakt mit dem Publikum gelernt, wie man Leute zum Tanzen bringt?
Wenn das Etablissement dafür geschaffen war, dann sind die Leute schon von selbst aufgestanden. Da musste man niemanden auffordern. Die Freude an diesem Gesellschaftsleben, das es ja in den letzten zwei Kriegsjahren überhaupt nicht mehr gab, hat sich regelrecht explosionsartig befreit.
Ihre Klarinette und Max Gregers Saxofon erkennt man sofort.
Der Ton hängt mit der Anatomie zusammen. Das bekommt man geschenkt.
Aber Sie haben doch auch den Trick, dünne Blätter zu benutzen.
Ja, damit es voller klingt. Aber das hängt auch mit den Zähnen zusammen. Ich habe früher strengere Blätter geblasen. Aber ich werd’ ja 90. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Trotz all Ihrer Tanzplatten haben Sie immer gesagt, dass Sie nicht tanzen können.
Ich kann es wirklich nicht. Ich habe mal das Pech gehabt, dass ich bei irgendeinem Ball mit der Ballkönigin tanzen sollte. Ich hab’ dann zu dem Mädel gesagt: „Sein’s mir nicht bös’. Versuchen wir nur ein bisserl hin- und herzuschieben. Ich kann mich auch mit Ihnen nicht unterhalten, weil ich muss – eins, zwei, drei – mitzählen.” Aber ich kann den Rhythmus halten, habe hunderte von internationalen Tanzturnieren gespielt und immer den richtigen Ton getroffen. Ich lasse tanzen.
Am 8. April und am 8. Mai 2012 spielen die Swing-Legenden in der Philharmonie