Der Mann, der irgendwann mal stecken blieb

Seit Jahrzehnten setzt Kennedy alles dran, bloß nicht wie ein klassischer Geiger daher zu kommen.Doch jetzt ist er ganz brav bei Mozart und Beethoven gelandet: Punk-Geiger Nigel Kennedy kommt mit Beethoven und Co. nach München.
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Seit Jahrzehnten setzt Kennedy alles dran, bloß nicht wie ein klassischer Geiger daher zu kommen.Doch jetzt ist er ganz brav bei Mozart und Beethoven gelandet: Punk-Geiger Nigel Kennedy kommt mit Beethoven und Co. nach München.

Nigel Kennedy ist genervt. Schon seit Stunden sitzt er in der Nobel-Suite des Münchner Palace Hotels und beantwortet Fragen. Kunstvoll drapierte Häppchen auf einem großen Teller sollen ihn bei Laune halten, doch der Versuch schlägt fehl. Nigel muss raus, raus an die frische Luft. Ob es in Ordnung sei, sich auf die Dachterrasse zu setzen?

Von wegen „Bad Boy“ der Klassik, der Mann ist höflich, Handkuss inklusive – auch wenn im Gespräch immer mal wieder ein unflätiges Wort mit „F“ fällt und „hey man“ fast jeden Halbsatz beschließt. Seit Jahrzehnten setzt Kennedy alles dran, bloß nicht wie ein klassischer Geiger daher zu kommen. Um so erstaunlicher, dass er jetzt wieder ganz brav bei Mozart und Beethoven gelandet ist, damit eine neue CD eingespielt hat und morgen in der (ausverkauften) Philharmonie spielt.

Wer dieses erzklassische Programm als Rückkehr zu seinen Anfängen begreift, wird schnell eines Besseren belehrt: „Meine Wurzeln liegen im Blues!“ Und überhaupt sei der Jazz seine Grundlage, den spiele er schließlich seit seinem zwölften Lebensjahr. Aus freien Stücken. Kennedys Augen leuchten triumphierend, plötzlich ist er hellwach. Vor ihm steht jetzt eine dampfende Tasse Tee, die Abendsonne scheint auf seine Punk-Frisur. Der ewige Bart Simpson mit dem höflichen Lächeln trägt auch mit 51 Jahren noch Fliegerhose und Springerstiefel.

Das Palästinenser-Tuch – „ein Zeichen der Solidarität“ – hängt überm Stuhl, die olivgrüne Zotteljacke könnte von seinem Sohn sein. Sieht so aus, als sei da einer in der pubertären Protestphase stecken geblieben. Doch was eingefleischte Klassik-Fans eher verschreckt, zieht auf der anderen Seite Menschen an, die niemals einen Konzertsaal betreten würden – wenn nicht eben Nigel Kennedy auf der Bühne stünde.

Tatsächlich gefällt ihm der Gedanke, eine Art Vermittler zu sein, den Leuten die Größe eines Mozart – „a fuckin’ good composer“ – zu verklickern. Und da ist er dann auch schnell bei seinem Lehrer Yehudi Menuhin. Nigels Bewunderung für den 1999 verstorbenen Geiger kennt kaum Grenzen: „Menuhin war ein phänomenaler Beethoven-Interpret“, betont er. „Deshalb hoffe ich, dass etwas von seinem Geist in die CD eingeflossen ist, auch wenn ich natürlich ganz anders spiele.“

Sicher, das tut Nigel. Seinem Spiel geht eine gewisse Präzision ab, und die musikalische Entwicklung lahmt. Geigen-Girlies wie Hilary Hahn haben ihn längst links überholt. Auch wenn er nach diversen Jazz-, Pop- und Klezmer-Versuchen vor einem Jahr mit unbekannten Violinkonzerten der polnischen Spätromantik wieder „ganz klassisch“ punkten konnte. Aber Kennedy hat andere Qualitäten. Ist er gut drauf, beginnt seine Guarneri zu swingen, dann kann er Massen in einen Begeisterungstaumel geigen. Und er will mit seinem Publikum Spaß haben, auf Teufel komm raus, alle sollen sich wohl fühlen.

Deshalb springt Nigel gerne mal von der Bühne und quatscht sich durch die Reihen. Oder er kickt einen Fußball in die Menge – wie Kindergeburtstag im Konzert ist das. Seine Kollegen vom Polnischen Kammerorchester schauen dann peinlich bedröppelt. Überhaupt müssen die Damen im langen Schwarzen und die Herren im Frack einiges aushalten. Kennedy ist für Überraschungen gut, da können schon mal die Noten durch die Luft fliegen.

Dafür werden dann die einzelnen Musiker immer wieder vorgestellt – radebrechend, denn polnische Namen sind eine Herausforderung für einen Briten. Dabei ist Kennedy mit einer Polin verheiratet und lebt die Hälfte der Zeit in Krakau. „Aber mehr als ein Bier bestellen ist in dieser Sprache kaum drin“, sagt er. Braucht er auch nicht. Mit den Musikern kommt er so klar, da reichen schon Blicke. Und seinen Krakauer Lieblingsclub kann er zur Not auch in herzhaftem Fußball-Cockney anfeuern. Beethoven, Violinkonzert, Mozart Violinkonzert Nr. 4; Nigel Kennedy, Violine, Polnisches Kammerorchester

Christa Sigg

Das Konzert in der Philharmonie ist ausverkauft; CD mit Violinkonzerten von Mozart und Beethoven bei EMI

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