Der letzte Kommunist

In einem neuen Buch beklagt Papst Franziskus, wie der „Götze Geld“ unseren Planeten zerstört und weltweit Krieg erzeugt
von  Christoph Bartscherer
Papst Franziskus scheint es zu genießen, dass diese Frau ihn zur Begrüßung küsst. Obwohl er selbst zölibatär lebt, entspricht das seiner Überzeugung, dass Menschen auch durch Gesten der Zärtlichkeit miteinander kommunizieren sollten.
Papst Franziskus scheint es zu genießen, dass diese Frau ihn zur Begrüßung küsst. Obwohl er selbst zölibatär lebt, entspricht das seiner Überzeugung, dass Menschen auch durch Gesten der Zärtlichkeit miteinander kommunizieren sollten. © Andreas Solaro/AP/dpa

Nie hätte er gedacht, dass er einmal Papst werden, nie, dass er sein künftiges Leben hinter den mächtigen Mauern des Vatikans verbringen würde. Mit einem kleinen Koffer war Kardinal Bergoglio 2013 von Argentinien nach Rom gereist, um bei der Wahl des neuen Papstes als „Königsmacher“ mitzuhelfen. Sein Rückreiseticket hatte er schon in der Tasche.

Er selbst war chancenlos, wie er glaubte, die Buchmacher in London handelten ihn als Nummer 42 unter den Kandidaten. Doch dann hat das Konklave am 13. März 2013 ausgerechnet ihn zum Nachfolger von Benedikt XVI. gewählt: zum ersten jesuitischen und lateinamerikanischen Papst der Kirchengeschichte.

Mit Krieg verliert man alles, mit dem Frieden gewinnt man alles

Ob es wirklich seinen Wünschen entsprach, dass die Bürde dieses Amtes ihm auferlegt wurde, bleibt zu bezweifeln. In den zwölf Gesprächen, die er zwischen Februar 2016 und Februar 2017 mit dem französischen Kommunikationswissenschaftler Dominique Wolton geführt hat und die jetzt gemeinsam mit Auszügen aus 16 großen Ansprachen des Papstes in Buchform erschienen sind, gibt er zu erkennen, dass es „nicht leicht“ sei, das geistliche Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken zu sein.

Dazu passt, dass er den vatikanischen Palast mit seinem Machtgebaren und Prunk als ein „Gefängnis“ empfindet, das seinen bewussten Schulterschluss mit den Ausgegrenzten und Armen symbolisch unterläuft. Es spricht Bände, dass er die päpstliche Suite nur zu Repräsentationszwecken benutzt und er seit seinem Amtsantritt 2013 in aller Bescheidenheit in dem vatikanischen Gästehaus Santa Marta wohnt.

Zudem scheint er mit Argwohn die Neigung der Kirchenoberhäupter zu Eitelkeit und Karrierismus zu beobachten, und er hat darum beim Weihnachtsempfang 2014 die römische Kurie vor Krankheiten wie „geistlichem Alzheimer“ und „existenzieller Schizophrenie“, das heißt vor den Lastern einer lieblosen Gottvergessenheit und eines heuchlerischen Doppellebens, gewarnt.

Andererseits ist Franziskus, wie er gegenüber Dominique Wolton bekennt, auch nicht unglücklich über sein Los. Obgleich er es niemals für möglich gehalten hätte, dass er einmal in diesem „Käfig“ landen würde, habe er „keine Angst“ und fühle sich „frei“.

Der Friede hat ihn nicht verlassen

Zwar müsse er allen dienen, denn der Papst sei der „Servus servorum Dei“, der Diener der Diener Gottes, aber gerade deswegen sei er mit dem „Herrn im Einklang“ – was ihm während seiner überraschenden Wahl zum Papst bestätigt worden sei. Als im fünften Wahlgang des Konklaves die Mehrheitsverhältnisse sich plötzlich zu seinen Gunsten verschoben, „spürte ich einen tiefen Frieden. Und dieser Friede hat mich bis heute nicht verlassen“, erzählt Franziskus.

Überhaupt ist der Friede eines der Grundanliegen des Papstes, und zwar nicht nur der innere, sondern vor allem der politische Friede – weshalb er den interreligiösen Dialog mit Nachdruck unterstützt und fundamentalistische Strömungen scharf verurteilt.

Auf der Basis ihrer eigenen Identität müssten die Weltreligionen miteinander kommunizieren anstatt durch Selbstgerechtigkeit, Ignoranz und Feindschaft die Gräben zu vertiefen. Für Franziskus verstoßen Religionskriege gegen das göttliche Prinzip der Liebe, weil durch sie aus Machtgründen Gott politisch missbraucht und funktionalisiert werde. Gemeinsam mit seinem „Bruder“, dem Großimam von Ägypten, verkündete er deshalb auf der Friedenskonferenz in Kairo im April 2017 „ein deutliches und eindeutiges ,Nein‘ zu jeglicher Form von Gewalt, Rache und Hass, die im Namen der Religion oder im Namen Gottes begangen werden. Gemeinsam bekräftigen wir die Unvereinbarkeit von Gewalt und Glaube, von Glauben und Hassen“.

Aber auch alle Versuche, Krieg politisch zu legitimieren, seien absurd. Einen „gerechten Krieg“ wird es nie geben, weil selbst im Fall eines Verteidigungskriegs die „Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ nicht garantiert werden kann: „Kein Krieg ist gerecht. Das einzige Gerechte ist der Friede. Denn mit dem Krieg verliert man alles. Mit dem Frieden dagegen gewinnt man alles.“

Wie der Fetisch Geld Armut, Elend und Ausgrenzung erzeugt

Doch diesem Friedensgebot steht nach Überzeugung des Papstes eine Welt entgegen, die Stück für Stück in einen „Dritten Weltkrieg“ hineinschlittert, weil sie die Bedeutung Gottes und des Mitmenschen vergessen und ihre Seele dem „Götzen Geld“ verkauft hat.

Deshalb nährten seine Handlanger „das Krebsgeschwür des Krieges“ durch die Produktion von Waffen, um den Geldfluss am Leben und die Wirtschaft am Florieren zu halten: „Es gibt Wirtschaftssysteme, die nur dann überleben können, wenn Krieg geführt wird. So stellt man Waffen her und verkauft sie, und so können die Bilanzen der Wirtschaftssysteme, die den Menschen dem Götzen Geld opfern, natürlich saniert werden.“

Die Raff- und Profitgier der reichen Industrienationen ist es aus der Sicht von Franziskus, die das „gemeinsame Haus“ unseres Planeten zerstören. Denn der schon von Papst Pius XI. inkriminierte „Imperialismus des internationalen Finanzkapitals“ führe zu einer Zerstörung der Umwelt durch die Ausbeutung aller verfügbaren materiellen Ressourcen, zu einer Neukolonialisierung Afrikas und einer Pauperisierung der ohnehin schon armen Länder, er rufe Sklavenarbeit und organisierte Kriminalität mit ihren Auswüchsen wie Prostitution, Drogen- und Menschenhandel hervor.

Der Mensch als Ausschussware

Es sei die „Wirtschaftsdiktatur“ (Pius XI.) des Westens, die die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefe und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse auf lange Sicht zementiere: „In der Welt von heute besitzen 62 wohlhabende Menschen genauso viel wie 3,5 Milliarden Arme. In der Welt von heute leiden 871 Millionen Hunger. 250 Millionen Migranten wissen nicht, wohin, haben nichts. Der Drogenhandel bringt heute rund 300 Milliarden Dollar. Und in den Steuerparadiesen sind geschätzte 2400 Milliarden Dollar im Umlauf, das heißt, sie werden von einem Ort zum anderen verschoben.“

Menschen, die dem Leistungsdruck dieser Profitmaschine nicht gewachsen sind, werden – wie der Papst feststellt – zur „Ausschussware“ und zum „Überschuss“ degradiert: „Das ist die Wegwerfkultur. Das passiert, wenn im Zentrum eines Wirtschaftssystems der Götze Geld steht und nicht der Mensch, die menschliche Person, Ebenbild Gottes.“

Wenn heute ein Heer von Flüchtlingen und Migranten global unterwegs ist und an die Pforten der reichen Länder klopft, dann ist dies für Franziskus die Folge dieser Anbetung des Geldes. Doch statt aus Angst Mauern zu errichten und sich abzuschotten, sollten aus Barmherzigkeit Brücken gebaut werden. Deshalb plädiert Franziskus für einen „Brücken-Plan der Völker gegenüber dem Mauer-Plan des Geldes“.

Aussagen wie diese haben Franziskus den Vorwurf eingetragen, dass er „der letzte Kommunist“ sei. Der Papst entgegnet dem gelassen, dass die Liebe zu den Armen, Kranken und Ausgegrenzten im Zentrum des Evangeliums stehe und Jesus selbst ein Flüchtling gewesen sei. Seine Forderung nach Boden, Wohnung und Arbeit für jeden Menschen, also seine „drei T“ (tierra, techo, trabajo), sei keine kommunistische Zielsetzung, sondern ein urchristliches „sakrosanktes Recht“.

Was den Papst politisch denken lehrte

Obwohl er die marxistische Unterströmung der Befreiungstheologie kritisch sieht, räumt er ein, dass er die Kommunistin Esther Balestrino Careaga sehr geschätzt habe, bevor sie 1977 von der argentinischen Militärjunta ermordet wurde: „Sie hat mir Bücher gegeben, allesamt kommunistisch, aber sie hat mich gelehrt, politisch zu denken. Ich habe dieser Frau viel zu verdanken.“

Eine weitere Frau, der sich Franziskus zu Dank verpflichtet fühlt, ist eine jüdische Psychoanalytikerin und Ärztin. Als 42-Jähriger habe er sie sechs Monate lang einmal in der Woche konsultiert, um „bestimmte Dinge zu klären“. Auch sie hat ihm „sehr geholfen“.

Dass Franziskus explizit seine Sympathie für eine Kommunistin und eine Psychoanalytikerin bekundet, deutet an, dass er das Spektrum der Kirche auch für Menschen öffnen möchte, die sich außerhalb ihres Wertekanons befinden.

Zugleich signalisiert er, dass bei aller Offenheit, die er seinem Gesprächspartner gegenüber an den Tag legt, seine Aussagen immer auch eine gesellschaftspolitische Dimension besitzen, folgen sie doch der Losung Pius XI., dass „die große Politik eine der erhabensten Formen der Nächstenliebe ist“.

Ohne konventionell oder konformistisch zu sein, bewegt sich Franziskus zwischen Tradition und Moderne, will gewisse kirchliche Dogmen nicht vorschnell über Bord werfen, aber gleichzeitig auch den Anschluss an die Moderne nicht versäumen. Während er Abtreibung nach wie vor als „Mord an einem Unschuldigen“ und „schwere Sünde“ einstuft, hält er den Kommunionsempfang für wiederverheiratete Geschiedene im Einzelfall für möglich und erkennt er eine gleichgeschlechtliche Beziehung in Form einer „eingetragenen Partnerschaft“ an.

„Sex ist etwas Gutes und Schönes“, durch das Leben entsteht

Besonders wichtig aber scheint ihm die Zurückgewinnung jenes elementaren Lebensaspekts zu sein, den die Kirche laut der Diagnose Heinrich Heines und Friedrich Nietzsches durch ihre Leibfeindlichkeit und Daseinsverdrossenheit eskamotiert hat: den Körper und das Diesseits.

Franziskus vertritt eine Theologie der Zärtlichkeit, zu der das gemeinsame Essen und Trinken ebenso gehören wie das Kommunizieren durch Berührung, Händereichen, Umarmung und Sexualität: Denn „Sex ist etwas Gutes und Schönes“, etwas „Heiliges“, das zur Schöpfung gehört und durch das Leben entsteht.

Franziskus verkündet eine Botschaft der Freude und der Daseinsbejahung, in der das zweckfreie Spielen ebenso seinen Platz hat wie der Tanz. Und weil ihm die versteinerten „Totengräberminen“ des hohen Klerus ein Greuel sind, hat er sich – wie er in diesen sehr direkten und um Authentizität bemühten Dialogen darlegt – das Lachen und den Humor aufs Panier geschrieben, weil er weiß: „Der Sinn für Humor ist auf menschlicher Ebene das, was der göttlichen Gnade am nächsten kommt.“

Papst Franziskus: Mit Frieden gewinnt man alles. Im Gespräch mit Dominique Wolton über Politik und Gesellschaft. Aus dem Französischen von Gabriele Stein. Herder Verlag, 320 Seiten, 25 Euro.

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