Der Lebensplan scheitert

Ängste in der intellektuellen Mittelschicht: Lukas Hammersteins Roman „Wo wirst du sein“ beschreibt treffend und selbstkritisch das Lebensgefühl heute 50-jähriger Intellektueller
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Ängste in der intellektuellen Mittelschicht: Lukas Hammersteins Roman „Wo wirst du sein“ beschreibt treffend und selbstkritisch das Lebensgefühl heute 50-jähriger Intellektueller

Zuerst möchte man das Buch gleich wieder zuklappen. Eine Bande Frustrierter entführen die „Mrs. Bad Bank“, eine Ikone des rücksichtslosen Kapitalismus. Der Älteste unter ihnen erkennt die Dame, von der es kein Bild gibt. Sie ist seine alte Jugendliebe. Im Versteck feiern beide ein fleischliches Wiedersehen, das der Autor mit dankenswerter Diskretion behandelt.

Dieser Zufall wirkt allzu konstruiert. Zu allem Überfluss ist die Heuschrecke auch heimlich eine unter anderem Namen in der taz-Beilage „Le Monde diplomatique“ schreibende Globalisierungskritikerin. Das gemahnt verdächtig an Hans Weingartners Film „Die fetten Jahre sind vorbei“, in dem sich der von Großstadtrevolutionären gekidnappte Klassenfeind als ehemaliger Linker herausstellt.

Kein Thriller, sondern ein Psychogramm

Aber einige Seiten weiter legt sich die Albernheit. Lukas Hammerstein hat keinen Thriller im Sinn. Auch die RAF-Räuberbandenpose der Entführer und der sinnlos-verzweifelte Versuch, das Wirtschaftssystem durch die Erpressung Einzelner zu verändern, interessiert ihn nur am Rande. „Wo wirst du sein“ verwandelt sich zunehmend in ein Psychogramm. Und da wird das Buch spannend: Den heute 50-jährigen hält es einen Zerrspiegel vor, in dem Lebenslügen und verpasste Chancen dieser Generation kenntlich werden.

Das ist beim Lesen bisweilen schmerzhaft. Die Babyboomer Lisa und Max wuchsen im scheinbar ewigen Aufwärts der Wirtschaftswunderzeit auf. Sie spekuliert als Teenager an der Börse und steigt in die globale Finanzwelt auf. Er studiert nichts richtig zu Ende, wirft vieles hin. Dank der Beziehungen seines Vaters landet er bei einem Privatsender, den er wegen gefälschter Interviews bald wieder verlassen muss.

Die Abgründe des journalistischen Prekariats und dessen Moden kennt Hammerstein ganz offenkundig aus der Nähe. Aber der Text ist keine Nabelschau. Hammerstein geht es um die gescheiterte Selbstverwirklichung seiner Generation, deren Misserfolge durch das Ende der früher so kraftvollen Eltern in Demenz und Krebs weiter verdüstert werden. Aber es gibt auch ein wenig Hoffnung: Der Roman spielt in einer nahen Zukunft verödeter Einfamilienhäuser vor den Toren Frankfurts. Vielleicht kommt alles anders. Die Ängste der intellektuellen Mittelschicht vor dem Absturz hat Hammerstein jedenfalls eindringlich in Worte gefasst.

Robert Braunmüller

Lukas Hammerstein, „Wo wirst du sein“ (S. Fischer, 255 S., 18.95 Euro). Der Autor liest am Mittwoch, den 24. März um 20 Uhr im Literaturhaus, Salvatorplatz 1

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