Der komische Geruch der Freiheit - zum Tod von Wolfgang Herrndorf
Der Schriftsteller und "Tschick"-Autor Wolfgang Herrndorf ist mit 48 Jahren in Berlin gestorben
Am 23. Juli findet er eine sterbende Libelle in seiner Wohung: „Ich schiebe den Leichnam in eine Streichholzschachtel. Mit C. bestatte ich die Libelle am Ufer.“ Der letzte Eintrag in sein Online-Tagebuch: vor sieben Tagen. Nur ein Wort: „Almut“. Der Autor Wolfgang Herrndorf ist in Berlin gestorben. Er wurde 48 Jahre alt. „Er hat sich gestern in den späten Abendstunden
am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen“, schrieb Autorenkollegin Katrin Passig am Dienstag über Twitter.
Ende Juni verzeichnete Herrndorf, dass ihm die Wörter abhanden kommen. Anfang Juni träumt er, dass er sich ein Grab in Grunewald kauft: „Grab 92 A. Das ist meins.“ Herrndorf hatte einen Hirntumor. In der Gewissheit, dass seine Zeit abläuft, schrieb er dem Ende zu. Auf eine Art, die in jedem dürren Satz, in jedem Namen lebendig war.
Es war ein langes Leben mit dem Tod. Im Januar 2012 spuckt er Teile seines Backenzahns aus: „Ja, mach dich vom Acker, Körper, hau ab, nimm mit, was du tragen kannst.“ Neben der Literatur im Netz war „Sand“ sein letzter, 2011 erschienener Roman. Eine Kombination von Thriller und existenzialistischem Gestus. Ein Stück Literatur als Verunsicherung unserer eingefahrenen Wahrnehmung.
Der gebürtige Hamburger Herrndorf hat an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg Malerei studiert, 2002 erschien sein erster Roman „In Plüschgewittern“. Bekannt geworden war Herrndorf 2010 mit „Tschick“. Eines dieser seltenen Bücher, das Jugendliche und Erwachsene mit einer Sprache begeistert, die beides kann: Ähnlichkeit schaffen und Kunstwerk sein.
Herrndorf ließ den 14-jährigen Maik Klingenberg sprechen. Einen, der den Sommer seines jungen Lebens hat. Zusammen mit Tschick, dem Russen, der eines Tages angesoffen im Klassenzimmer sitzt. Herrndorf gelang ein Erzählen mit der beschränkten Sicht des Heranwachsenden, für den der Geruch des Anderen schon die Idee einer ganzen Welt sein kann.
Maik und Tschick, sie hauen im geklauten Auto ab aus diesem Leben, in dem nichts klappen will, ob mit Eltern oder Weibern. Natürlich, von Anfang an ist klar, dass der Ausflug der beiden nicht gut gehen kann. Spätestens, als sie versuchen, die mitgenommenen Tiefkühlpizzen mit einem Feuerzeug zu braten, weiß man, dass sie nie ihr Reiseziel, die Walachei, erreichen werden. Aber das Leben war, trotz alledem, einen Versuch wert.
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