Der Kirchenfilter – endlich gereinigt!
Eine Zensur findet nicht statt (Punkt!).“ So steht es im Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 1, Satz 2. Das war die klare Reaktion auf die Naziherrschaft. Schon hundert Jahre zuvor hatte Heinrich Heine analysiert: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen.“
Aber es geht natürlich auch subtiler, vor allem in Internet. Wer bis vor einer Woche bei Hugendubel online ein Buch bestellen wollte, bekam nicht die ganze Bücherwelt. Hugendubel war mit dem katholischen Weltbild Verlag verbunden. Und daher tauchten kirchenkritische Titel wie Karlheinz Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“ gar nicht erst auf. Und wer nach Richard Dawkins „Gotteswahn“ suchte, wurde an die Gegenschrift „Warum Menschen Gott brauchen” verwiesen. „Ketzer“-Schriften waren natürlich nur Umsatz-Peanuts, auf die man so verzichtete. Wie aber hielt man es mit der viel umsatzträchtigeren fleischlichen Sünde? E. L. James „50 Shades of Grey“ tauchte zwar nicht in den Bestsellerlisten auf, blieb aber im Angebot – allerdings mit ein paar pädagogischen Hinweisen: „Die hier beschriebene Unterwerfung der Frau widerspricht dem Welt- und Menschenbild, von dem wir uns als Buchhändler leiten lassen. Wir sehen das Buch als sehr problematisch an.“ Es folgten negative Feuilletonkritik-Zitate.
Dem Münchner Büchergigant Hugendubel (gegründet 1893) wäre die Bindung an die hundertprozentig katholische Verlagsgruppe Weltbild wirtschaftlich fast zum Verhängnis geworden. Jetzt, nach der Trennung von Weltbild, verkauft Hugendubel online nicht mehr über weltbild.de, sondern über das Portal buecher.de – zensurfrei. Obwohl Weltbild hier große Anteile besitzt, aber auch der Springerverlag mitmischt.
Ende des geistigen Zölibats
„Eines der peinlichsten und reaktionärsten Kapitel in der Geschichte Hugendubels wie in der Historie des deutschen Buchhandels ging zu Ende“, bloggten Hugendubelmitarbeiter. Der so genannte „Kirchenfilter“ ist abgeschaltet, der auch dezidiert politisch linksgerichtete Werke ausschloss. Man war damit sogar päpstlicher als der Papst. Denn der offizielle katholische Index Librorum Prohibitorum („Verzeichnis der verbotenen Bücher“) mit Büchern, die für jeden Katholiken schwere Sünde waren, wurde mit dem Zweiten vatikanischen Konzil 1966 abgeschafft.
Diskret verabschiedete sich Hugendubel vom Kirchenfilter. Auf einem Aushang für die Mitarbeiter war zu lesen, es „werde keine inhaltlichen Beschränkungen mehr geben“. David Bergers „Der heilige Schein“ über die katholische Kirche und ihren Umgang mit der Homosexualität kann man jetzt wieder bestellen. es gilt, wer suchet, der findet, auch das Jugendliteraturpreis-nominierte Aufklärungsbuch „Make Love“.
Überhaupt will sich Hugendubel nach der Aufhebung der zölibatären Bindung an Weltbild jetzt neu ausrichten. IHugendubel erklärte in einer Stellungnahme: "Unsere Partnerschaft mit der Verlagsgruppe Weltbild hat dazu geführt, dass das Thema „Kirchenfilter“ auch mit Hugendubel in Verbindung gebracht wurde. Zwar haben wir in unserem alten Online-Shop in einigen Fällen Bücher mit speziellen Zusatzhinweisen versehen. Einen „Kirchenfilter“ hat es bei Hugendubel.de nicht gegeben. Wenn Kunden an uns herangetreten sind, weil bestimmte Bücher nicht in unserem Angebot enthalten waren, haben wir dies geprüft und diese Titel in der Regel ins Sortiment aufgenommen. Die Zahl solcher Anfragen war aber bis zuletzt sehr gering."
Und was macht der Weltbild Verlag? Nachdem Weltbild vor der Übernahme durch eine säkulare Investmentgesellschaft des Münchner Finanzinvestors Paragon Partners GmbH steht, dürfte es bald auch hier heißen: Eine Zensur findet nicht statt.