Der Kampf um „Mein Kampf“

Ministerpräsident Horst Seehofer stellt sich gegen den Landtag und stoppt die geplante kommentierte Ausgabe
von  Angela Böhm

Das 12 mal 18,9 Zentimeter große Buch gilt als gefährlichste Hetzschrift des 20. Jahrhunderts. Für die Ewiggestrigen ist Hitlers Propaganda die Bibel. Jahrelang hatte sich der bayerische Landtag Gedanken gemacht, wie er den Nazi-Mythos entzaubert. Einstimmig beschlossen alle Parteien, bis 2015 eine von Historikern kommentierte Ausgabe zu erarbeiten. Mit einem Handstreich hat Horst Seehofer das Projekt am Dienstag gestoppt und sich über das Parlament hinweggesetzt. Das sorgte gestern im Landtag für Kritik.

Nicht mal die CSU-Fraktion war informiert. „Das ist kein guter Stil“, sagte der Vorsitzende des Hochschulausschusses Oliver Jörg (CSU). „Eigentlich ist entscheidend, was der Landtag sagt.“ Seine Vize Isabell Zacharias (SPD) erklärte: „Da muss man sich schon die Frage stellen: Wer regiert hier eigentlich? Alle sind erschrocken, dass Seehofer nicht mal mit uns geredet hat.“ Grünen-Chefin Margarete Bause wirft dem Ministerpräsidenten „Selbstherrlichkeit“ vor. „Er kann nicht einen Beschluss des Landtags aufheben.“

Die Wogen zu glätten versuchte Staatskanzleichefin Christine Haderthauer. Sie redete vor dem Plenarsaal auf den Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses Oliver Jörg und CSU-Fraktions-Vize Karl Freller ein: „Soll das Institut für Zeitgeschichte halt dann eine Dokumentation über das Buch machen.“ Unters Volk bringen will Seehofer jedenfalls das Hitler-Buch nicht. „Die Verbreitung ist vom Tisch“, sagte er.

Die Rechte für „Mein Kampf“ gehören dem Freistaat, weil Hitlers letzter offizieller Wohnsitz „München, Prinzregentenplatz 16“ war. Das Institut für Zeitgeschichte sollte das Buch nach dem Auslaufen der Urheberrechte 2015 kommentiert herausbringen. Finanzminister Markus Söder hatte den Auftrag und eine halbe Million Euro dazu bereits gegeben. Geschäftsgrundlage war, dass das Parlament davon ausging, Hitlers Nazipropaganda dürfe ab 2015 verbreitet werden. Nun aber sind der neue Justizminister Winfried Bausback und Innenminister Joachim Herrmann überzeugt, dass „Mein Kampf“ nach dem Strafgesetzbuch als volksverhetzend eingestuft wird.

„Das hätte für große internationale Verwerfungen gesorgt, wenn das Buch mit dem Wappen Bayerns und finanziert von Steuergeldern auf den Markt gekommen wäre“, sagte Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle. Rückendeckung kommt von der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch: „Das Buch hat schon zu viel Schaden angerichtet. Mag es auch im Ausland erhältlich sein, in Deutschland darf sich dieser Text nie wieder auf legalem Weg in die Hände und Köpfe der Menschen schleichen.“

In der Türkei stand das Buch 2007 auf Rang drei der Bestsellerliste – bis Bayern auch dort ein Verbot durchsetzte.

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