Der große Wurf als Stückwerk?
Schon Hitler hatte die Idee, den Hauptbahnhof zum Hirschgarten zu verlegen, um Platz für einen gigantomanischen NS-Architektur-Stadtteil zu schaffen.
Aber erst Mitte der 90er war der Container- und Rangierbahnhof aus der Stadt abgezogen. Auf einer Strecke von 8 Kilometern war jetzt ein Areal von 170 Hektar für eine neue Nutzung frei. Insgesamt werden an der Achse Hauptbahnhof-Pasing 19000 Menschen arbeiten, 17000 wohnen. Eine einmalige Chance zu zeigen, wie eine moderne Stadt aussehen kann. Wurde sie genutzt oder vertan? Ein großes Fotoprojekt Die Veränderungen hat die Veränderungen begleitet.
Vier große Planungsbereiche wurden gestaltet: Rund um den neuen Arnulfpark zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke, das Gebiet zwischen Hirschgarten und um die Friedenheimerbrücke herum, in Laim die Flächen des Eisenbahner Sportvereins bis zum Nymphenburger Park und in Pasing die Flächen um den alten Bahnhof. Die Umgestaltung des Areals um die Pasinger Paul-Gerhard-Allee ist noch am Anfang.
Jetzt, da große Teile fertig sind, kann man das Ergebnis beurteilen. Heute findet dazu eine öffentliche Diskussion statt (siehe Kasten). Einige Anmerkungen und Eindrücke über die neue Achse Hauptbahnhof-Pasing:
INDUSTRIE–ROMANTIK? ES WURDE ABGERÄUMT!
Wer die Fotoausstellung in Pasing besucht, wird feststellen, wieviel historische Industriearchitektur auf den Arealen stand. Warum hat man nicht einige Industrie-Romantik bewahrt, um die vorherige Nutzung auch heute noch sichtbar zu machen und um städtebauliche Akzente im reinen Neubaugebiet zu lassen? Beispiele: die Eisenkonstruktion des Laimer Güterbahnhofs, der Stahlkessel der alten DB-Tankstelle.
ZU GROSSE DICHTE
Nicht nur insgesamt hat man den Eindruck, dass die Viertel zu dicht bebaut wurden. Auch die restaurierte Freiheizhalle ist zu stark eingebaut, die Landmarke des Backstein-Kamins kommt nicht zur Geltung. Genauso hat man an die Hackerbrücke zu dicht herangebaut, so dass die Ingenieurskunst-Eisenkonstruktion nun verzwergt. Auch der Pasinger Bahnhof von 1847 von Friedrich Bürklein (von dem auch der ehemalige Hauptbahnhof und die Maximilianstraße stammen) wird von der umgebenden Bebauung – wie den hässlichen Pasing-Arkaden – zur reinen Puppenstube degradiert.
KEIN GESICHT?
Über Architektur-Geschmack kann man streiten. Aber es lässt sich kein durchgehender, gesichtsgebender Stilwille erkennen. Gelungen scheint der Sky-Garden an der Hackerbrücke. Die Grünanlagen sind steril geometrisch gehalten und erzeugen so einen völlig unnatürlichen Eindruck.
KEINE URBANITÄT
Stadtplaner scheinen keinen Mut mehr zu haben, große Plätze zu gestalten, wo sich städtisches Leben abspielen könnte und die Identifikationsorte für ein Viertel sind, wie bei der Stadtplanung des 19. Jahrhunderts in Haidhausen. Auch das Einkaufsangebot in den neuen Vierteln besteht nur aus Ladenketten, was den sterilen Eindruck von Austauschbarkeit noch verstärkt.
KEINE WEST-OST-ACHSE
Obwohl sich das neue Areal von der Peripherie bis zur Innenstadt zieht, wurde kein Fußgänger- und Rad-Boulevard geplant, als großzügig grüne Wegachse.
Ausstellung „Achse im Wandel 2002 - 2012“: bis 6. Mai 2012, täglich 16 bis 20 Uhr, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, direkt am S-Bahnhof Pasing, Eintritt frei