Der freundliche Geist

Das Erfolgsrezept: Man nehme eine schaurige Vorlage aus der Sagenwelt seiner böhmischen Heimat, gebe ein freundliches Element dazu - und lasse das Abenteuer beginnen. So hat Otfried Preußler (1923-2013) immer wieder die Handlungen für seine Bücher gefunden. Das zeigt die Ausstellung "Ein bisschen Magier bin ich schon … Otfried Preußlers Erzählwelten" im Sudetendeutschen Museum zum 100. Geburtstag des Autors im Oktober.
Das Prinzip funktioniert schon 1956 in "Der kleine Wassermann", dem Buch, das Preußlers Karriere als Kinderbuchautor begründet. Da liegen ein Krieg, eine fünfjährige sowjetische Gefangenschaft und eine Übersiedlung nach Rosenheim hinter ihm.
In der böhmischen Sagenwelt ist der Wassermann ein Geist, der in Tümpeln und Teichen lebt und - nicht nur, aber auch - mit Harfenklängen junge Mädchen in sein Reich lockt. Preußler nimmt die Figur, die auf alten Bildern eher krötenhaft daherkommt, macht sie zum Jungen, gibt ihm grüne Haare und setzt ihm eine rote Zipfelmütze auf. Und der Weiher, in dem er lebt, ist der Weiher, in dem die drei Töchter Preußlers auch selbst badeten. Diese Geschichte hat der Vater Preußler zuvor seinen Töchtern und der Lehrer Preußler seinen Schülern erzählt.
Nun ist sie der Beginn eines Welterfolgs. Ein Jahr später erscheint "Die kleine Hexe". Gleiches Prinzip: Die in alten Darstellungen hässliche alte Hexe wird bei Preußler zu einer Junghexe von gerade einmal 127 Jahren. Ähnlich macht er es fast zehn Jahre später noch einmal in "Das kleine Gespenst" (1966), indem er aus einer unheimlichen Weißen Frau eben das nette kleine Nachtgespenst macht. Dazwischen schreibt Otfried Preußler sein bekanntestes Buch: "Der Räuber Hotzenplotz" erscheint 1962 und dient laut der Kuratorin Eva Haupt eigentlich eher der Ablenkung von dem schweren "Krabat"-Stoff, mit dem Preußler sich insgesamt fast zehn Jahre herumschlagen wird und mit dem er seine traumatischen Erlebnisse während des Kriegs zu verarbeiten versucht.
Der Hotzenplotz, dieses "Kasperltheater zwischen zwei Buchdeckeln", wie die Preußler-Tochter Susanne Preußler-Bitsch bei einem Rundgang sagt, ist also wieder wie eine der finsteren Räuberfiguren aus dem nordböhmischen Isergebirge, wo Preußler aufwuchs - nur eben harmlos: Er schießt nur mit einer Pfefferpistole. Aber er klaut der Großmutter auch die Kaffeemühle - die als Requisit der jüngsten Verfilmung von 2022 in der Ausstellung zu sehen ist.
An acht Stationen begegnet man je einem Preußler-Buch (insgesamt hat er um die 40 geschrieben), mit einer kurzen Erläuterung (jeweils auf Deutsch, Tschechisch, Englisch), dazu kommen Fotografien von der Familie, Bilder von Preußlers malerischem Heimatstadt Reichenberg (das heutige tschechische Liberec), Abbildungen und Figuren aus der Sagenwelt. An zwei Hörstationen mit vier Interview-Schnipseln erzählt Preußler unter anderem, wie der Räuber Hotzenplotz zu seinem Namen kam. Kinder können sich verkleiden und fotografieren, auf zwei Monitoren zeigt die italienische Sandkünstlerin Nadia Ischia Szenen aus Preußlers Erzählwelten.
Der Besuch der Ausstellung ist eine Wiederbegegnung (in Text und Illustration) mit den Buchhelden der Kindheit - und ein nostalgischer Spaziergang durch eine Landschaft, mit der uns Otfried Preußler durch seine Erzählungen vertraut gemacht hat.
Sudetendeutsches Museum, Alfred-Kubin-Galerie, Hochstr. 8, bis 12. November (Di-So, 10-18 Uhr), Eintritt kostenlos, umfangreiches Begleitprogramm unter sudetendeutsches-museum.de, am 24. August, 17 Uhr, Kuratorinnenführung mit Eva Haupt und Anna Knechtel