Der Euro endet in einem Börsenkrach

In der „Götterdämmerung” verzichtet Regisseur Andreas Kriegenburg im Nationaltheater auf das Körpertheater und verfällt in Klischees. Dafür triumphieren Sänger, Orchester und der Dirigent Kent Nagano.
von  Robert Braunmüller

In der „Götterdämmerung” verzichtet Regisseur Andreas Kriegenburg im Nationaltheater auf das Körpertheater und verfällt in Klischees. Dafür triumphieren Sänger, Orchester und der Dirigent.

Es ist einer jener großen Wagner-Momente, abgenutzt durch häufiges Hören und einstigen Missbrauch: Siegfrieds Trauermarsch im dritten Akt der „Götterdämmerung”. Mit Blechgeschmetter, blitzenden Beckenschlägen und Trommelrauschen wird der Tod des Helden nachträglich zum Sieg erklärt.

Kent Nagano und dem Bayerischen Staatsorchester gelang diese heikle Stelle in der Premiere unvergesslich. Sie überwältigten nicht nur durch Lautstärke, sondern lieferten mit dem leicht hervorgehobenen Trommelwirbel das Bedrohliche und Fatale dieses Triumphs gleich mit, als sei es der Schluss einer Symphonie von Gustav Mahler.

Das wagnererfahrene Staatsorchester und sein von den Musikern bekanntermaßen ungeliebter Chef sind das Herz dieser „Götterdämmerung”. Nagano mag zwar kein großer Sänger-Begleiter sein, dafür ist er aber ein herausragender Klang-Regisseur. Er dirigiert Wagner für Fortgeschrittene: Alles ist durchhörbar, und obwohl eine eher analytische Grundhaltung waltet, wird das Erhabene nicht verkleinert. Selten waren Wagner-Tradition und -Gegenwart so miteinander im Einklang.

Der Staatsoper gelang es auch, in dieser Festspiel-Premiere den Sänger-Luxus der ersten drei „Ring”-Abende noch zu übertreffen. Nach der unterschätzten Katarina Dalayman in der „Walküre” und der metallischen Catherine Naglestad in „Siegfried” wurde nun eine dritte, alles überstrahlende Brünnhilde aufgeboten: Nina Stemme ist die Erlösung nach den dürren Jahren der Schnauts und Watsons. Die Stimme tönt machtvoll, sie bewegt in den menschlichen und leuchtet emphatisch in den heroischen Momenten. Wenn die Sängerin im dritten Akt zum Schlussgesang auftritt, ist das einer jener auratischen Momente, die in Wagner-Aufführungen selten geworden sind.

Auf den jungen Siegfried von Lance Ryan folgte nun der eher metallisch baritonale Stephen Gould. Der Amerikaner blieb wie sein Kollege bis zum Schluss frisch, sein robuster Zugriff geht bestens mit der Naivität der Figur zusammen. Und man darf seinen Gesang genießen und muss ihm nicht mitleidig zuhören wie in den letzten Jahren fast allen Interpreten dieser Rolle.

Eric Halfvarson war erst wenige Stunden vor Beginn der Vorstellung eingetroffen, um den für Hans-Peter König eingesprungenen und ebenfalls erkrankten Albert Pesendorfer als Hagen zu ersetzen. Er spielte, als habe er drei Wochen geprobt: Ein absoluter Profi, dessen eher trocken-dumpfes Singen unter den obwaltenden Umständen als Glücksfall gelten muss. Auch die Gutrune (Anna Gabler), Gunther (Iain Paterson) sowie Nornen und Rheintöchter waren würdig besetzt. Mit Michaela Schusters Waltraute hörte man sogar noch eine vierte Brünnhilden-Stimme.

Nur: Muss sich diese Walküre nervös kratzen, als hätte ihre Sorge um Wotan eine Neurodermitis ausgelöst? Gunthers Hornbrille rutschte, seine Halle war eine Bank aus Stahl und Glas. Der Hausherr genoss – wie unter dekadenten Bankiers neuerdings notorisch – zwischendrin eine Zimmermaid. Die Untergebenen hielten den öffentlichen Skandal des zweiten Akts mit ihren Smartphones fest.
Regietheater-Business as usual also. Andreas Kriegenburg servierte Senf zur Euro-Krise und ließ die Währung nach Siegfrieds Tod an der Börse zusammenkrachen. Dabei begann die Inszenierung recht stark mit Katastrophen-Opfern, denen die Nornen das Gedächtnis raubten. Bald verfiel sie aber in den leidigen, aus der „Walküre” bekannten Küchenpsychorealismus. Am Ende flackerte der Weltenbrand wie üblich in Gas und als Projektion, ehe der abgebrannten Bank ein paar Geläuterte entstiegen, um die gewandelte Gutrune zu trösten.

Kriegenburgs „Götterdämmerung” endet im Ungefähr. Doch sein „Ring” bleibt trotzdem stark in allen symbolisch stilisierten Bildern. Hätte der Regisseur sein Körpertheater aus „Rheingold” und „Siegfried” durchgehalten, wäre mit dieser Inszenierung eine sinnlichere, von Bedeutungshuberei entlastete Epoche der Wagner-Regie angebrochen. Eine verpasste Chance. Echt schade.

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